Exodus
Kindheit miteinander befreundet. Das steht gleichfalls in Ihrem Bericht. Und es steht ferner in Ihrem Bericht, daß es die jüdische Wohlfahrt war, die sich wegen der Arbeit im Lager an sie gewandt hatte. Sie lesen doch Ihre Berichte, Major Alistair, oder?«
»Verzeihung, Sir ...«
»Ich bin noch nicht zu Ende. Nehmen wir einmal an, unser schlimmster Verdacht sei begründet. Nehmen wir also an, daß Mrs. Fremont tatsächlich Material für Mark Parker sammelt. Nehmen wir weiter an, daß Mark Parker eine Artikelserie über Caraolos schreibt. Ich bitte Sie, meine Herren, wir haben jetzt Ende 1946; der Krieg ist seit mehr als anderthalb Jahren vorbei. Die Leute wollen nichts mehr von Flüchtlingen hören, und wenn sie etwas darüber lesen, dann macht es auf sie sehr wenig Eindruck. Wenn wir aber eine amerikanische Kinderpflegerin und einen amerikanischen Pressemann aus Zypern hinauswerfen, ist das sicherlich eine Sensation für die Leute. Meine Herren, die Sitzung ist beendet.«
Alistair nahm rasch seine Akten zusammen. Fred Caldwell, der kochend vor Wut dagesessen hatte, sprang auf. »Und ich sage, wir sollten ein paar von diesen Dreckjuden aufhängen, damit sie sehen, wer eigentlich der Herr im Hause ist.« Damit wollte er hinaus.
»Freddy!« rief Sutherland hinter ihm her. Caldwell, schon in der Tür, blieb stehen und drehte sich um. »Wenn Sie den Juden unbedingt an den Kragen wollen, kann ich veranlassen, daß Sie nach Palästina versetzt werden. Die Juden dort sind nicht hinter Stacheldraht, und sie sind bewaffnet. Solche Männlein wie Sie essen sie gern zum Frühstück.«
Caldwell ging rasch mit Alistair den Flur entlang und brummte wütend in sich hinein. »Kommen Sie mit in mein Büro«, sagte Alistair. Caldwell ließ sich in einen Stuhl fallen und fuchtelte mit den Händen herum. Alistair nahm einen Brieföffner von seinem
Schreibtisch und spielte nervös damit, während er im Büro auf und ab ging.
»Also, wenn Sie mich fragen«, sagte Caldwell, »man sollte den Alten adeln und in den Ruhestand versetzen.«
Alistair kam zurück zum Schreibtisch und biß sich unschlüssig auf die Lippe. »Hören Sie, Freddy, ich habe mir die Sache schon seit mehreren Wochen überlegt. Sutherland verhält sich wirklich ganz unmöglich. Ich werde General Tevor-Browne einen persönlichen Brief schreiben.«
Caldwell zog die Augenbrauen in die Höhe. »Das ist ein bißchen riskant, alter Junge.«
»Wir müssen irgend etwas unternehmen, ehe uns diese verdammte Insel eines Tages um die Ohren fliegt. Sie sind Sutherlands Adjutant. Wenn Sie mich dabei unterstützen, dann garantiere ich Ihnen, daß nichts ins Auge geht.«
Caldwell hatte es satt mit Sutherland. Und Alistair war ein angeheirateter Verwandter von Tevor-Browne. Er nickte zustimmend.
»Dann könnten Sie bei der Gelegenheit bei Tevor-Browne auch gleich ein gutes Wort für mich einlegen.«
Es klopfte, und herein kam ein Korporal mit einem Bündel neuer Informationen. Er übergab Alistair das Bündel und ging wieder hinaus. Alistair blätterte die Meldungen durch und seufzte. »Als ob ich nicht schon genug Sorgen hätte. Auf der Insel ist eine organisierte Bande von Dieben tätig. Die Burschen sind so gerissen, daß wir nicht einmal herausbekommen, was sie eigentlich klauen.« Einige Tage später traf Major Alistairs dringender und vertraulicher Bericht bei General Tevor-Browne ein. Seine erste Reaktion war, Alistair und Caldwell nach London kommen zu lassen und ihnen eine gewaltige Standpauke für diesen Bericht zu halten, der an Meuterei grenzte. Doch dann machte er sich klar, daß Alistair es nicht riskiert hätte, ihm einen solchen Brief zu schicken, wenn er nicht ernstlich beunruhigt wäre.
Falls sich Tevor-Browne dafür entschied, Alistairs Rat zu befolgen und in Caraolos rasch durchzugreifen, um eventuelle Pläne der Juden zu durchkreuzen oder zu vereiteln, mußte er sich beeilen. Denn Ari ben Kanaan hatte bereits den genauen Zeitpunkt festgesetzt, zu dem die Kinder mit Sicherheit aus Caraolos fortgebracht werden sollten. Die Engländer hatten bekanntgegeben, daß die neuen Lager in der Nähe von Larnaca fertiggestellt seien, und daß man in den nächsten
Tagen damit beginnen würde, einen großen Teil der Insassen aus den überfüllten Lagern bei Caraolos dorthin zu überführen. Die Flüchtlinge sollten mit Lastwagen hingebracht werden, und zwar zehn Tage lang täglich jeweils drei- bis fünfhundert. Ari setzte den sechsten Tag als Zeitpunkt X des
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