Exponentialdrift - Exponentialdrift
Sorge war eher, es könnten zu wenig als zu viele davon kommen: Gerade Apalliker sprachen häufig positiv auf die Stimmen oder die bloße Anwesenheit vertrauter Personen an, selbst wenn sie sonst auf nichts mehr ansprachen.
»Abel«, sagte der Mann versonnen. »Bernd ... nein, Bernhard Abel. So hat er geheißen.«
Röber starrte ihn an. Einen bizarren Moment lang fragte er sich, ob der Mann seine Gedanken lesen konnte. Hallo, Blödmann! dachte er in einer Weise, die er als »laut und deutlich« empfand, und schaute genau hin, doch der Fremde zuckte nicht zusammen, sah nicht schuldbewußt hoch, fuhr nicht beleidigt auf. Röber schalt sich einen Narren und sagte, ärgerlich über sich selbst: »Sie werden verstehen, daß ich dazu nichts sagen darf. Aus Datenschutzgründen.«
Der Mann nickte mit großen Augen. Er hatte einen grauen Pullover an und darüber einen billigen roten Parka. »Ich bin mit ihm zusammen zur Schule gegangen. Können Sie mir sagen, wo ich ihn jetzt finde?«
»Nicht mehr hier jedenfalls.« Da hätte nicht einmal Gedankenlesen geholfen. Er kannte Evelyn Abels Anschrift nicht, nur ihre Telefonnummer, und die nicht auswendig.
»Aber Sie haben doch sicher seine Adresse.«
»Sicher, aber die darf ich Ihnen erst recht nicht sagen.«
Der Mann rieb sich den Hals. Dabei verrutschte sein Pullover und legte eine etwa daumengroße Verfärbung der Haut frei, eine Art Muttermal, das aussah wie der Schatten eines Pferdekopfes mit wehender Mähne. »Ich muß ihn aber unbedingt finden.«
»Sie können sich an die Krankenhausverwaltung wenden und Ihre Telefonnummer hinterlassen. Ich denke, die werden das gern weiterleiten, und dann kann –« (um ein Haar hätte er Herr Abel gesagt!) »... derjenige Sie anrufen.«
»Das ist eine gute Idee.« Der Mann lächelte. »Vielen Dank. Das werde ich machen.«
»Gern geschehen.« Dieser Fleck am Hals sah wirklich eigenartig aus. Doktor Röber konnte seinen Blick kaum losreißen. Er kannte den Mann nicht, definitiv, aber ihm war, als habe er vor undenklichen Zeiten dieses Mal schon einmal gesehen.
Der Mann ging, ein Patient bekam einen Krampfanfall, es gab wieder zu tun. Doch der eigenartige Hautfleck beschäftigte Doktor Röber weiter, und endlich fiel ihm ein, daß er ja nur bei der Krankenhausverwaltung nachzufragen brauchte: Wenn der Mann seinen eigenen Namen und seine Telefonnummer hinterlassen hatte, half ihm das sicher, herauszufinden, was es mit diesem Gefühl auf sich hatte.
»Ja, da war jemand hier«, sagte die Sekretärin. »Aber einen Namen hat er nicht hinterlassen. Er wollte bloß wissen,ob wir die aktuelle Adresse von Herrn Abel haben. Ein komischer Typ. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihm die nicht geben darf, und er hat auch wirklich nicht versucht, auf den Bildschirm zu schauen oder so. Er hat nur darauf bestanden, daß ich mich vergewissere, daß sie noch gespeichert ist.«
Fortsetzung folgt ...
21. November 2001
Wegen verbotener Preisabsprachen bei Vitaminpräparaten verhängt die EU-Kommission gegen acht Pharmaunternehmen, darunter die deutschen Firmen BASF und Merck, ein Rekordbußgeld von insgesamt 855 Millionen Euro.
24. November 2001
Beim Absturz einer Maschine der Schweizer Fluggesellschaft Crossair kurz vor Zürich kommen 28 Menschen ums Leben, darunter die amerikanische Popsängerin Melanie Thornton.
25. November 2001
Nach zwölftägiger Belagerung der Stadt Kundus übernimmt die Nordallianz die Kontrolle über die letzte Bastion der Taliban.
FOLGE 9
S EIT BERNHARD ABELS Erwachen aus dem Koma waren sechs Wochen ins Land gegangen. Vielleicht wäre es allmählich Zeit gewesen, seine Rekonvaleszenz für beendet zu erklären und ins wirkliche Leben zurückzukehren, doch da war etwas in ihm, das einfach nur wartete und sich zäh wie Schlick allem widersetzte, was er sich vornahm. Als müsse erst noch etwas geschehen, von dem er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was es sein könnte.
Es geschah an diesem ersten wirklich kalten Novembertag gegen elf Uhr. Es klingelte. Bernhard Abel öffnete und stand einem Mann in einem leuchtendroten Parka gegenüber, der den Kopf leicht zur Seite geneigt hielt und ihn einfach nur ansah.
»Guten Tag«, sagte Abel mißtrauisch.
Der Mann richtete sich auf. »Du hast keinen Zugang zum Kanal«, sagte er, und was immer damit gemeint war, es schien ihn nicht wenig zu wundern.
»Zu welchem Kanal?« Und wieso duzte der Mann ihn eigentlich? »Kennen wir uns?«
Der andere lachte nur, aber es war ein
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