Exponentialdrift - Exponentialdrift
zerrte es herunter, durchwühlte die Ordner darin, Schnellhefter, von bröckeligen Gummis zusammengehaltene Papierstapel. Da war es. Ausdrucke der Fachaufsätze, die er für seinen Professor ins reine schreiben und am PChatte aufbereiten müssen. Desktop Publishing. Damit hatte man damals noch Punkte machen können.
Da. Eines der Fotos, das er in den Text montiert hatte. Er hatte das Mal am Hals erst für einen Fehler beim Scannen gehalten. Der Mann vom letzten Donnerstag, nur jünger. Armin P. stand darunter. 25 Jahre alt. Nach 2 Jahren im Wachkoma erwacht.
Fortsetzung folgt ...
4. Dezember 2001
Die Ergebnisse der weltweit größten Bildungsstudie PISA werden veröffentlicht. Deutschland landet in allen Kategorien der Studie auf hinteren Plätzen.
5. Dezember 2001
Die Afghanistan-Konferenz der Vereinten Nationen einigt sich auf eine Übergangsregierung mit dem Paschtunenführer Hamid Karzai an der Spitze.
7. Dezember 2001
Die Internationale Süßwasserkonferenz in Bonn einigt sich auf Empfehlungen zur Verbesserung der weltweiten Wasserversorgung. Ziel ist, bis zum Jahr 2015 die Zahl der Menschen, die ohne Zugang zu sauberem Wasser leben müssen, zu halbieren.
FOLGE 11
Z WEI DINGE GESCHAHEN, die Bernhard Abels Leben für immer verändern sollten.
Das erste geschah bei seinem Versuch, den Fremden, der ihn aufgesucht hatte, in seiner eigenen Erinnerung zu finden. Immer wieder blätterte er sein uraltes, speckiges Adreßbüchlein durch, las die Namen, gekritzelt mit verschiedensten Kugelschreibern und Bleistiften, und versuchte, Erinnerungen dazu wachzurufen. Nichts. Gut, es war veraltet. Zwei Jahre vor seinem Schlaganfall hatte er sich einen schicken teuren elektronischen Adreßmanager zugelegt, dessen Batterien in den vier Jahren seines Komas erloschen waren und mit ihnen alle gespeicherten Daten. Doch änderte das etwas? Die Menschen, deren Namen und Adressen er auf diesen abgegriffenen Seiten notiert fand, mußten einmal wichtig für ihn gewesen sein, und doch hatte er sie vergessen, und hatte sogar vergessen, daß es je anders gewesen war. Er las Namen, die stumm blieben, leer, bedeutungslos. Er verband nichts damit, kein Bild, keine Erinnerung. Er hätte genausogut im Telefonbuch lesen können.
Ihr Erinnerungsvermögen kann Lücken aufweisen, ohne daß Sie sich dessen bewußt sein müssen , hatte der Arzt gesagt. Das ist wie beim blinden Fleck im Auge: Sie merken nicht, daß da nichts ist.
Nun merkte er es. Es war, als blicke er in einen See und zum ersten Mal, unter dem Glitzern und den verzerrten Spiegelbildern der Wasserfläche, in dessen dunkle Tiefen. In denen sich etwas bewegte, etwas unsagbar Gewaltiges. Sich bewegte und aufstieg vom Grund.
Unaufhaltsam. Bernhard Abel lehnte sich in dem Moment zurück, da er es spürte, schloß die Augen und wußte, daß etwas in Bewegung gekommen war, das niemand mehr zu stoppen vermochte.
Doch erst einmal geschah nichts. Seine Frau ging weiterhin zur Arbeit, machte weiterhin zweimal die Woche lange Überstunden, weil der Januar 2002 näherrückte und damit das Euro-Bargeld, seine Tochter erzählte weiterhin beim Mittagessen von Lehrern und Mitschülern, und Bernhard Abel stand weiterhin oft auf dem Balkon und beobachtete die Menschen bei Tage und den Himmel bei Nacht. Er wartete wie bisher, nur daß er jetzt ein zielstrebiges Fließen in sich spürte, von dem er nicht hätte sagen können, was es war und was es wollte.
Das zweite geschah, als er in den Nachrichten hörte, daß es erstmals gelungen sei, mit Hilfe des Hubble-Teleskops bei einem Planeten, der einen fernen Stern umkreiste, eine Atmosphäre nachzuweisen. »Warte«, sagte Bernhard Abel zu seiner Frau, als die weiterschalten wollte. Es handele sich, wurde erklärt, um einen 150 Lichtjahre entfernten Stern im Sternbild Pegasus, und dazu kam ein kurzer Ausschnitt aus der Pressekonferenz, bei der einer der Wissenschaftler eine grapefruitartig aussehende Kugel, jene Sonne symbolisierend, in der einen Hand hielt und mit der anderen eine kleine schwarze Kugel, den jupitergroßen Planeten verkörpernd, langsam davor vorbeiführte. Irgendwie sollte das erklären, wie sie der Atmosphäre auf die Spur gekommen waren.
»Ich habe das schon einmal gesehen.« Aus irgendeinem Grund fiel ihm ein Kollege aus seiner alten Firma ein. Yves. Er blätterte nach, fand ihn auch. »Yves Lehmann. Ich erinnere mich. Er hat immer darüber gespottet, daß die Leute versuchen, den Nachnamen französisch auszusprechen, sobald
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