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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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zu haben. Zu sehen, wie er sich bewegte, wie er sprach. Ein wenig war es, dachte Irene Kocic, als sei der Kinderwunsch in Erfüllung gegangen, die Lieblingspuppe möge zum Leben erwachen. Sie hatte nicht wirklich daran geglaubt, und doch war es passiert.
    Ob er sich an irgend etwas erinnerte aus dem Koma? Ob er wußte, wer sie war und daß sie sich um ihn gekümmert hatte? So etwas kam vor. Zumindest hatte sie davon gelesen.
    Falls er sie erkannte, zeigte er es nicht. Es sei denn, man nahm sein stillschweigendes Einverständnis mit ihrer Anwesenheit als eine Art Erkennen. Er saß da, das Rückenteil hochgestellt, fünf Kissen unter sich, und war in die Betrachtung seiner rechten Hand vertieft. Er drehte sie langsam, um sie von allen Seiten zu betrachten, die Finger bebten dabei, die Bewegung war eckig, aber es ging besser als noch kurz zuvor.
    Sein Blick blieb an dem goldenen Ring um seinen Ringfinger hängen. »Was ist das?« fragte er.
    »Ihr Ehering«, sagte sie.
    »Was bedeutet das?« wollte er wissen, doch etwas in ihm fand die Antwort selber: »Daß ich verheiratet bin. Nicht wahr? Ich habe ... eine Frau.«
    Sie nickte. »Ja. Sie kommt morgen.« Als sie den verwirrten Ausdruck in seinen Augen bemerkte, fragte sie: »Erinnern Sie sich an Ihre Frau, Herr Abel?«
    »Nein«, sagte er, schüttelte den Kopf und korrigierte: »Doch, ja. Ich erinnere mich. Es ist nur ...« Er blinzelte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ist das mein Name? Abel?«
    »Ja. Bernhard Abel.«
    Etwas wie Entsetzen stand in seinem Gesicht. Er starrte angestrengt auf das Fußende seines Bettes, nicht, als sähe er dort etwas Bestimmtes, vermutlich hätte er genausogut auf jeden anderen Punkt im Raum starren können, sondern so, als beschäftige ihn das Gehörte ungeheuer. Einen schrecklichen Augenblick lang fürchtete sie, ihn erneut zu verlieren, hilflos zusehen zu müssen, daß er zurückglitt in das lichtlose Gefängnis, in dem er über vier Jahre zugebracht hatte. Doch endlich blinzelte er, stieß die Luft mit seufzendem Keuchen aus. »Abel«, wiederholte er.
    »Genau.«
    Er sah sie an. »Das ist ... seltsam.« Er suchte nach Worten, bewegte minutenlang stumm den Mund, als probiere er sein Vokabular durch. »Da ist etwas schiefgegangen.«
    Etwas Unheilvolles lag in der Art und Weise, wie er das sagte. Irene Kocic schluckte unbehaglich, wollte das bedrohliche Gefühl verscheuchen. »Wieso denken Sie, daß etwas schiefgegangen ist?« fragte sie.
    »Weil ich mir sicher bin, daß das nicht mein Name ist«, sagte der Mann. »Bernhard Abel – das bin ich nicht.«
    Fortsetzung folgt ...

FOLGE 4
    I CH DACHTE, DEIN Mann hat dich verlassen.«
    »Das hat er ja in gewisser Weise auch.«
    »Also entschuldige. Einen Schlaganfall kriegen und ins Koma fallen ist doch nicht dasselbe wie seine Frau zu verlassen.«
    Evelyn Abel klappte die Sonnenblende herab und überprüfte ihr Aussehen in dem kleinen Spiegel darin. Zum zehnten Mal, seit sie hier standen. »Für mich ist es aufs Gleiche herausgekommen.«
    »Du hättest mir davon erzählen sollen.«
    Sie klappte die Blende wieder hoch und sah ihn von der Seite an. Wolfgang hielt das Lenkrad umklammert, sah geradeaus, und sein Kinn schob sich mit winzigen Zuckungen hin und her. »Ich wollte nicht mehr an ihn denken, okay?« Sie seufzte unwillig und sah hinaus, über den sorgfältig gepflegten Rasen, der sich rund um die Klinik erstreckte. »Zuerst haben sie mir Hoffnungen gemacht. Ein paar Wochen, hieß es. Irgendwann waren es Monate, und ich habe immer noch gewartet. Bis eine Ärztin mir das mal erklärt hat, daß er wahrscheinlich nicht mehr aufwachen wird, wenn das Koma länger dauert als ein Jahr. Und wenn, daß er geistig schwer behindert sein kann. Ich weiß genau, daß Bernhard das ein Greuel gewesen wäre, und dann dachte ich, es ist besser so, wie es ist. Daß er eben so dahindämmert und irgendwann stirbt.«
    Wolfgang warf ihr einen entsetzten Blick zu. »Scheiße«, murmelte er mit einer wie flachgepreßt klingenden Stimme. »Ich dachte, aus ’nem Koma ... da holen sie einen irgendwann auf jeden Fall wieder raus ...?«
    »Tja. Falsch gedacht. Sie können eine Menge machen, aber im Griff haben sie es nicht. Sie können nicht mal vorhersagen, ob einer wieder zu sich kommt oder nicht. Im ersten Jahr – ich glaube, ich habe ein halbes Medizinstudium gemacht. Wachkoma. Apallisches Syndrom. Basale Stimulation. Multisensorisches Konzept. Ich bin bei ihm am Bett gesessen und habe ihm aus

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