Extraleben - Trilogie
so ähnlich klingen.«
Ekel steht in seinem Gesicht.
»Kann doch praktisch sein«, halte ich dagegen. Müder als sonst, aber trotzdem überzeugt, geht der Beifahrer auf Gegenkurs: »Was ist denn praktisch daran, sich ständig auf ausgetretenen Pfaden zu bewegen ...«
»Aber so findest du doch vielleicht neue coole Sachen ...«, beharre ich.
»... die alle genauso klingen wie deine alten. Nein, ich sage dir, MOTS kann niemals das ersetzen, was dir ein guter DJ gibt - diese Mischung aus dem, was du willst, und dem, von dem du denkst, es niemals zu wollen, aber nach dreieinhalb Minuten für das geilste Stück hältst, das jemals aufgenommen wurde.«
Vielleicht lässt sich ein Kompromiss stricken ...
»Optimal wäre also MOTS plus eingebauter Zufallsgenerator.«
Einer technischen Lösung kann sich Nick natürlich niemals verweigern. Pro forma kratzt er sich kurz am Kinn, um das Kriegsbeil dann mit einem genuschelten »Geht zumindest in die richtige Richtung« zu begraben. Der Angestellte des Monats wünscht sich also auch bei der Musik eine führende Hand; aber vielleicht ist das jetzt nicht der richtige Moment, um darauf rumzureiten. Jedenfalls sind wir uns also einig geworden, so schnell wie lange nicht mehr. Wow, wir sind echt müde.
$0028
Es geht runter in Vaters Höhle: Wir haben das mysteriöse Tape aus Irvings Bude in den Rekorder gelegt und den Ausgang mit meinem Dienstrechner verbunden. Als Erstes werden wir mal eine digitale Kopie ziehen, schön mit 24 Bit und 96 Kilohertz, fast besser als das Original. Nick zeigt mit einer einladenden Handbewegung auf die Play-Taste, so, als wollte er sagen: Bitte sehr, dem Herrn Hardware-Beauftragten gebührt der Vortritt. Danke, gerne. Ich drücke auf Wiedergabe, und der Mini-Lautsprecher des Rekorders rauscht leise vor sich hin, während das Vorspannband durchläuft. Es ist die reinste Therapie, mal wieder. Ohne Technik wären wir längst durchgedreht. Wie oft war dieses Rumgeschraube unser letzter Anker, als alles drum herum unterging? Vorletztes Jahr zum Beispiel, als Nicks Vater starb. Es passierte einfach so - das Herz, raunte jemand auf der Beerdigung rüber. Das hat den Dude echt mitgenommen. Und wie sah seine Trauerarbeit aus? Holte er die Bibel raus, las er nochmal Siddhartha von Hesse oder entdeckte er die Kirche wieder? Nein, er verschanzte sich eine volle Woche lang in seiner Bude, um ein Gerät zu bauen, mit dem er sein Garagentor fernsteuern kann, und zwar so richtig, über eine Distanz von 1000 Kilometern. Mit seinem Apple Newton von 1993· Nun ist es nicht so, dass er mit seinem Dad so richtig dicke war. Überhaupt nicht: Bis auf Weihnachten und Ostern haben sich die zwei überhaupt nicht mehr gesehen, und selbst auf diese Treffen hat sich Nick nicht gerade gefreut. Als ich ihn mal fragte, was da so abläuft, meinte er nur lakonisch.
»Wir gehen mit dem Hund in den Park und reden über Drucker.«
Woher sollte die Freundschaft auch kommen? Sein alter Herr gehörte zu diesen Wirtschaftswunder-Relikten, er war so ein Vater von der Sorte, die sich darauf beschränkt, ab und zu die Hinterköpfe der Kinder zu tätscheln. Ingenieur in der Chemieindustrie. sein halbes Leben in Brasilien oder sonst wo unterwegs. Trotzdem nahm sich Nick seinen Tod, wie fast alles, was mit Menschen zu tun hat, richtig zu Herzen. In der Kirche hat er fast lauter geschluchzt als seine Mom, als der Organist »A Whiter Shade of Pale« verhackstückte. Bei dem Lied haben sich seine Eltern wohl kennen gelernt. Na ja, und danach war er halt weg.
»Sprich doch mal mit ihm«, hatte mich Sabina angefleht. Ganz sicher nicht, kleine Lady! Denn anders als ihr war mir klar, was er in diesem Moment wirklich brauchte: Er musste allein sein mit den Schaltkreisen, und wenn er eine Sache nicht brauchte, dann war es ein Gespräch, mit wem auch immer. Es ist halt alles so schön einfach mit der Technik. LDA#$3E -lädt den Akkumulator mit dem Wert $3E. STA$E842 -legt den Wert im Speicher an der Adresse $E842 ab. Nichts bleibt im Unklaren, es gibt nichts zu diskutieren oder zu interpretieren. Die kleine, reine Welt der Maschine. Klar ist das verschroben, aber auch nicht verschrobener, als sich im Keller eine kleine, perfekte Modellbahn-Landschaft hinzubauen und in den Schlafzimmern der Minihäuser kopulierende Eheleute im Maßstab H0 zu verteilen. Oft war die Technik der letzte Fluchtpunkt. Doch so sehr wie heute haben wir es noch nie genossen, in diese perfekte Welt abtauchen zu können. Wir
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