Extraleben - Trilogie
Plauderei mit den anderen Gästen, um Land und Leute kennen zu lernen? Als ich zurückkomme, kauert Nick in unveränderter Position am Bildschirmplatz 29. Er starrt auf eines von Irvings Papieren; ab und zu schaut er hoch, um was im Netz nachzuschauen - schließlich wollen wir für unser Geld auch was haben. Ich falle in den Stuhl neben ihm und reibe mir den Bauch. Im kleinen Fensterchen des Rekorders kann man erkennen, dass fast das ganze Band von der linken auf die rechte Spule rübergewandert ist; die Überspielerei auf den Dienstrechner muss gleich zu Ende sein. Aus Langeweile schalte ich nochmal den Grid an. Die gleiche bernsteinfarbene Schrift, die gleichen, langweiligen Menüs - alles sieht immer noch so sexy wie die Steuerung einer Klimaanlage aus. Keine neuen Geheimnisse an dieser Front. Ich probiere nochmal alle Kombinationen mit der Taste Code durch, die ist schließlich als einzige nicht weiß, sondern rot beschriftet. Code-A, Code-O, Code-P. Komisch, war dieses Symbol, das aussieht wie eine Brezel, schon immer unten rechts auf dem Bildschirm? Bestimmt - wenn der Beifahrer das Teil unter die Lupe genommen hat, dann gründlich. Nick übersieht nichts, darauf kann man sich verlassen. Plock - die Wiedergabetaste des Rekorders springt raus. Nick schreckt hoch und wir beugen uns beide über meinen Dienstrechner, um die digitale Kopie von Irvings Kassette unter die Lupe zu nehmen. Also, los geht's: erst mal mit dem rechten Kanal anfangen, auf dem dieses dumpfe, analoge Grummeln zu hören war. Wellenform-Editor aufrufen, detune plus 100 Prozent, die Spur wird mit doppelter Geschwindigkeit wiedergegeben. Keine große Veränderung.
»Leg noch 'ne Schippe drauf«, schlägt Nick vor. Plus 200 Prozent, schon besser. Plus 400 Prozent, der Soundbrei erinnert immer noch an eine weit entfernte U-Bahn. Doch dann, bei 700 Prozent, sind wir da: Jetzt ist das Audiosignal ganz klar und deutlich. Nach und nach nehmen die Signale Gestalt an und fangen an, nach ganz normalen Geräuschen zu klingen: Eine Klimaanlage rauscht, ein Generator brummt - und Schritte. Unregelmäßige Schritte, als ob jemand vorwärts stolpert. Dazwischen schweres Atmen, wie bei »2001« - die Szene, in der Astronaut Frank den Raumspaziergang macht, um die defekte AE-35-Einheit auszutauschen. Minutenlang ändert sich nichts am Soundtrack. Mal wird das Atmen lauter, dann klingen die Schritte, als ob jemand eine Stahltreppe hochsteigt. Aber plötzlich, kurz vor dem Ende der Aufzeichnung, taucht am rechten Bildschirmrand, wo die Wellenformen vorbeiziehen, ein Berg auf. Unser Wow!-Signal. Ich tippe mit dem Finger drauf: »Schau mal, da kommt was Lautes.«
Nick atmet fast so schwer wie der Mann auf dem Tape.
»Ich wette, da sagt einer was.«
Und dann sagt wirklich einer was. Die Stimme ist gut zu verstehen, sie klingt nach einem sechzehnjährigen Amerikaner. Man, this place is awesome!
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Nick kramt eine zerknüllte Serviette aus seiner Hosentasche und wischt sich den Glanz von der Stirn. Die Bewegung sieht ziemlich nach Opa aus. Stirnschweiß, eine weitere Geißel der Lebensmitte, fast noch schlimmer als die Sache mit den Haaren in den Ohren.
»Also, Irvings Apartment kann er nicht gemeint haben, dafür war die Klitsche viel zu wenig awesome.«
»Ne, das klingt außerdem nach einem viel größeren Raum, die Early Reflections kommen erst nach 100 Millisekunden. Mindestens zwanzig Meter Abstand zwischen den Wänden, würde ich sagen.«
Mein in die Jahre gekommenes Audionerd-Wissen prallt innerhalb von null Millisekunden am Beifahrer ab. Nick schnippst den durchnässten Serviettenball auf die Tastatur.
»Hm, Wie wär's damit: Irvings Sohn hat ihm mal eine Art von Hörspiel aufgenommen, und sein alter Herr hat die Kassette später dazu benutzt, irgendwelche Daten zu speichern; solche Typen sind doch gefühlsmäßig meist ein bisschen unterkühlt. Jedenfalls gäbe es zwischen dem linken und dem rechten Kanal dann keinen Zusammenhang, und wir jagen einem Phantom hinterher.«
Mir bleibt nichts, als den Finger in die Wunde zu legen.
»Dafür müssten wir erst mal wissen, was für Daten auf dem linken Kanal drauf sind.«
Nick schaut genervt auf den Dienstrechner.
»Jau.«
Seit dem Mittagessen hat er alles versucht, um den Bitstrom auf dem linken Kanal der Kassette zu entschlüsseln - ohne Erfolg. Jetzt ist es halb fünf, und unsere Nerven liegen blank. Statt uns für die jugendliche Energie zu begeistern, sind wir nur noch genervt vom ständigen
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