Extraleben - Trilogie
hocken so dicht am Rekorder, dass unsere Ohren fast das Gehäuse berühren; anders kann man bei dem Lärm hier drinnen ohnehin nichts hören. Doch das bisschen, was wir mitkriegen, reicht. Wir müssen beide schlucken.
»Vier-vier-fünf-acht Komma acht Gigahertz, ist wahrscheinlich nichts«, flüstert Nick. Ein Zitat aus »Contact« - die Szene, in der Jodie Foster zum ersten Mal das Funksignal der Außerirdischen im Äther hört. Ein tiefes, bedrohliches Mahlen, als ob eine gigantische Metallfräse ganze Welten in Stücke zerreibt. Doch lrvings Tape klingt ganz anders, wie ein Bienenstock neben einer Autobahn, irgendwie verstörend. Wir werfen den Spectrum-Analyzer an. Als Erstes fällt auf, dass auf dem linken und dem rechten Kanal total unterschiedliche Signale sind - anders als bei einer normalen Stereo-Musikaufnahme, wo ja aus beiden Boxen normalerweise fast das Gleiche zu hören ist. Das Geräusch aus dem linken Lautsprecher klingt bekannt.
»Das sind Daten«, stelle ich fest. Nick rollt mit den Augen. Hey Beifahrer, gib mir nicht diesen genervten Blick! Das Offensichtliche auszusprechen ist nun mal mein Job! Das Summen erinnert an das Krrrrr, das früher aus den Boxen plärrte, wenn man eine Datenkassette vom Commodore 64 über eine normale Anlage abgespielt hat. Nur dass das Geräusch auf lrvings Tape viel, viel höher klingt, eher wie das Summen eines Bienenstocks. Die Bits hocken näher aneinander, es müssen größere Datenmengen sein. Es wird noch lustig werden, rauszufinden, welcher Rechner und welches Format sich dahinter verbergen, schließlich gab es in den Achtzigern kaum einen Heimcomputer - das Wort ist immer wieder schön -, der seine Daten nicht auf Audiokassetten rein-und rausgeschaufelt hat. Es könnte ein Programm für den Sinclair ZX-81sein, genau wie für den Schneider CPC464 oder einen meiner lieben Tandys. So weit der linke Kanal. Nick kneift die Augen zusammen und dreht das Ohr noch ein bisschen mehr Richtung Gehäuse: »Klar, aber was ist das rechts?«
Der Analyzer zeigt fast nichts oberhalb von 50 Hertz an. Ein dunkles Rauschen, wie eine weit entfernte Autobahn. Könnten runtergestimmte Geräusche sein, wie bei einer 4ser-Single, die mit 33 Umdrehungen abgespielt wird, nur viel extremer. Wenn wir die Aufnahme auf den Rechner überspielt haben, müssen wir alles erst mal mindestens 200 Prozent hoch stimmen. Mit pochenden Nerdherzen lauschen wir dem Rest der Aufnahme. Die Reise in Vaters Höhle verspricht interessant zu werden. Dass heute Vormittag nur dreißig Zentimeter Beton zwischen uns und einer malayischen Schläger-Gang lagen, ist schon dunkle Vergangenheit. Genau wie bei Irvings Tod vor ein paar Wochen legt sich die Technik mit ihren unendlichen Details wie ein Pflaster über die Seele.
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Wie lang eine Kassettenseite ist - unglaublich. Und das hat man früher ständig ausgesessen, bevor es die Doppeltapedecks mit dem Modus zum schnellen Überspielen gab. Jede Seite eine satte Dreiviertelstunde - was haben wir in der Zeit nur gemacht? Ach ja, wichtige Sachen wie: den Zauberwürfel auseinandernehmen und von innen mit Vaseline einschmieren, damit er sich leichter drehen lässt. Um die Zeit totzuschlagen, gehen wir abwechselnd in dem Restaurant direkt neben dem KAFE INTERNET 24 essen. Klar, man hätte sich auch bei McD verpflegen können, aber die Imbissbude nebenan heißt 3 ELEVEN und wir haben seit jeher ein Herz fur Markenrechtsschänder - zumal das Original, der Minisupermarkt von 7 ELEVEN, nur eine Querstraße weiter residiert. In dem kleinen, von Neonröhren ausgeleuchteten Kabuff drängen sich die ersten Kunden, um ihr Mittagessen abzuholen. Der Betreiber hätte es sich sparen können, drei Tische samt Monobloc-Stühlen in den Gastraum zu quetschen, denn bis auf mich möchte in diesem Ambiente anscheinend niemand essen. Alle sitzen draußen auf dem Bürgersteig. Auf einem Leuchtbalken hinter der Theke sind Fotos der Gerichte angebracht. Die Bilder sehen aus wie zugeblitzte Fotos von einem Tatort und lassen nur erahnen, was nachher tatsächlich auf dem Teller liegt. Irgendwie macht alles, was die Spurensicherung abgelichtet hat, einen einheimischen Eindruck. Wie soll man da die Ignoranz aufrecht erhalten? Zähneknirschend bestelle ich eine Art Ramen-Suppe mit etwas Gelbem drauf. Es entpuppt sich als geschlagenes Ei und schmeckt auch noch verdammt gut. Lecker einheimisch essen - so werden wir niemals das Niveau eines Berger erreichen. Was kommt als Nächstes? Eine nette
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