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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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diesem Niemandsland zwischen Check-in und Gate, das auf der ganzen Erde absolut gleich aussieht: eine zweistöckige Halle mit Atriumdach, hellgrauer Granitboden, in jede Richtung ein Laufband, das todsicher 50 Meter vor dem eigenen Abfluggate endet. Die Interzone, das ist die Vorhölle aus Duty-free-Shops, Elektronikläden und amerikanischen Dinern im Fünfzigerjahre-Stil, wo Hoppers »Nighthawks« hängen - natürlich in der modifizierten Version mit Marilyn Monroe, James Dean und Humphrey Bogart. Es sind die weitläufigen Wartelounges, in denen rund um die Uhr Börsennachrichten von den Bildschirmen herunterplärren. Und es ist das Zuhause der Sessel, dieser schwarzen, hässlichen Sessel, die anscheinend jeder Flughafen auf diesem Globus gekauft hat. Wo immer man auch landet, sind sie schon da: lange Reihen von Lederpritschen mit geschwungenem Edelstahlsockel, über deren Rand alle paar Meter ein Paar Strümpfe hinaus ragt. Oft haben wir uns schon gefragt, ob und wann es mal jemandem auffallen würde, wenn einer der hier liegenden Zeitzonen-Zombies nicht schläft, sondern tot ist. Man muss sie einfach lieben, die Interzone, den kleinsten gemeinsamen globalen Nenner. Klar gibt es auch noch Unterschiede von Land zu Land, aber das sind nur Kleinigkeiten. Auf dem einen Flughafen sind kyrillische Buchstaben auf den Wegweisern, auf dem anderen koreanische. Aber eigentlich spielt das keine Rolle, denn die Welt des Transits kommuniziert mit ihren Einwohnern über Farben - etwas anderes können die nach 18 Stunden Nonstop-Flug ohnehin nicht verarbeiten. An der Telefonzelle mit den orangen und roten Kreisen obendrauf zum Beispiel lässt sich mit Kreditkarte - ohne einheimisches Bargeld - fernsprechen. Der Mann mit der grünen Schürze reicht den Kaffee, der mit der roten Kappe den Burger, und Nick findet seinen Nachtisch-Donut, in dem er die Halle nach Orange-Pink abscannt. Und daran gibt es absolut nichts auszusetzen. Weiß Gott, es war verdammt gut, nach dem elend langen Nachtflug nach Kopenhagen für das Orange-Rote etwas bei Grün zu kaufen. Wie schön wäre es, wenn die Welt wie bei dem guten alten C64-Adventure Where in the World is Carmen Sandiego? Funktionieren würde? Da ging es darum, eine geheimnisvolle Diebin namens Carmen Sandiego aufzuspüren, die zuvor Walt Whitmans Schreibtisch gestohlen hatte, oder so ähnlich. Wollte man irgendwo hinreisen, musste man nur eine Taste drücken, und schon malte der Commodore 64 eine Linie vom Start-zum Zielpunkt auf den Bildschirm. Dann gab der Soundchip noch für jede Flugstunde ein »Ping« von sich - und zack, schon war man angekommen. Das käme jetzt sehr gelegen. Kopenhagen-Kangerlussuaq, fünf Stunden. Pingping-ping-ping-ping, da. Kein Jetlag, kein Economy-Blutstau in den Beinen, kein Klimaanlagen-Schnupfen. Where in the world is Carmen Sandiego? Trotz des bequemen Reisemodus haben wir das Spiel, glaube ich, nie zu Ende gebracht. Zu wenig Action. Im Moment beschäftigt mich ohnehin eher die Frage: Wo in aller Welt bin ich? Seit dem Aufstehen in Los Angeles habe ich kein Auge mehr zugetan; trotz Augenbinde, Ohrstöpsel und Rotwein zum Essen wollte sich der Flugzeugschlaf auf den langen, dunklen Atlantikmeilen einfach nicht einstellen. Keine Chance. In anderen Worten: Ich bin jetzt fast 30 Stunden am Stück wach, und das schlaucht. Mein Hirn fühlt sich taub an und arbeitet nur noch mit halber Kraft: Der Abend im Encounter, war das eigentlich gestern oder doch schon vorgestern? Ich diagnostiziere die ersten Symptome des Schlafentzugs: Schwindel beim Aufstehen, knallrote Augen, das dringende Bedürfnis, einen mit Jalapenos gefüllten Burrito zu essen und sofort mit zwei Litern extrasaurer Apfelschorle runterzuspülen. Als Hypochonder beobachte ich alle körperlichen Zeichen natürlich genauestens, was mich noch wacher macht. Bis auf die paar Zipperlein läuft der Trip aber wie am Schnürchen. Ich fühle mich leicht, heiter, unbeschwert - so sehr, dass ich fast ein schlechtes Gewissen habe, schließlich muss mein Kumpel ja ins graue Deutschland zurück, und wer weiß, ob unser Kumpelding noch mal dasselbe sein wird. Für viele Leute wäre das sicher ein Grund, am Boden zerstört zu sein. Doch ich bin nur erleichtert darüber, die schweren, gefühlsbeladenen Tage in L.A. endlich hinter mir lassen zu können. Oft habe ich mich gefragt, ob mir irgendwas fehlt, eben weil mich dieser Gedanke des Eigentlich-müsstest-du-mehr-Fühlens so häufig beschleicht, sogar bei Beerdigungen.

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