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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Torte in Mauerform herumzuspringen. Bowie sei natürlich auch dabei gewesen. So richtig geglaubt habe ich ihm die Geschichten nicht, aber auf eine wirre Art waren sie zumindest interessant. Nick schaffte es einfach, den Dingen einen Touch von Underground zu geben - ohne dabei so verbohrt rüberzukommen wie die ganzen Independent-Freaks. Eine Sache allerdings sollte nie so richtig zu all dem stylischen Bowie-Kram passen: sein Look. Bis in die Oberstufe hinein trug Nick türkisfarbene Pullis mit Polohemden drunter, hellgraue Socken und ausgelatschte weiße Lederslipper, Typ Schnelltickerschuhe zum raschen Abstreifen. Aber wie gesagt, der Musikgeschmack passte, und das war seinerzeit ja ein ziemliches Killer-Kriterium. Er findet Fischer Z gut? Vergiss es! In seinem Plattenschrank steht Genesis? Peinlich! Er hört Sting? Bei Jungs war da alles zu spät - Frauen gegenüber ließ man mal Gnade walten. Bowie jedenfalls schien kompatibel zu meinen damaligen Favoriten zu sein, John Lurie und Paul Weller von The Style Council , Menschen, die auch mal ein gebügeltes Hemd anhatten. Nachdem wir uns dessen kurz versichert hatten, war alles geklärt. Man würde jetzt häufiger gemeinsam abhängen. Ent- setzt würden Frauen an dieser Stelle aufschreien: „Was? Ein paar Platten und ein blödes Diskettenlaufwerk machen doch keine Freundschaft!« Mit vierzehn schon. Und es sind nicht die schlechtesten Freundschaften gewesen. Schlimm allerdings waren die Bowie-Raubpressungen, die Nick immer beim Diskettenkopieren aufgelegt hat. Die klangen wie diese fünfmal überspielten Pornos, die damals anfingen, in der Stufe zu zirkulieren. Nick fand seine Musikauswahl natürlich total toll: Das Material sei illegal durch die Studiowand hindurch aufgenommen worden, meinte er, voll begeistert. Aber das gehörte wohl zum Zauber. Ein diffuses Gefühl des Geheimen, Verschwörerischen, darauf stand Nick schon immer. Genau wie ich. Denn wir beide sind mit der gleichen literarischen Kost groß geworden - mit Charles Berlitz, Erich von Däniken und Peter Moosleitners interessantem Magazin. Und das hat geprägt: Ich dachte zu Schulzeiten zum Beispiel, dass eine ultrageheime Regierungsorganisation halb Deutschland unterwandert hatte und so ziemlich überall geheime Stützpunkte betreibt, zum Beispiel in dem kleinen Schuppen hinter unserer Grundschul-Turnhalle oder in dem verlassenen Bahndepot, an dem man immer auf dem Weg in die Stadt vorbei kam. Diese Organisation musste natürlich nicht nur geheim sein, sondern vor allem amerikanisch, denn deutschen Institutionen trauten wir schon als Schüler aus Prinzip nichts zu. Allein die Assoziationen: FBI - das klingt nach knallharten G-Men mit abgesägten Schrotflinten und dickem Chevrolet Caprice. Und Bundeskriminalamt? Da läuft im Kopf eher eine Szene ab, in der ein Typ mit Halbglatze irgendwelche Leitz-Ordner sortiert oder sonstwie den Dienstweg beschreitet. Wenn wir gewusst hätten, dass die verschnarchten Bonner Bürokraten in diesem Moment im Ahrtal, also quasi vor unserer Haustür, in einem Berg einen ultrageheimen Regierungsbunker für den Fall eines Nuklearschlags buddelten, hätten wir vielleicht anders gedacht. Rosengarten lautete das Codewort des unterirdischen Labyrinths, für das die Schlapphüte sogar die Autobahnausfahrt hatten verbreitern lassen. Eigentlich hätte uns bei den regelmäßigen Klassenfahrten in die Eifel auffallen müssen, dass die Schnellstraße in das Rentnerkaff Bad Neuenahr völlig überdimensioniert war. Geheimorganisationen, »P.M.«,Speed-DOS - das klingt jetzt natürlich erst mal ziemlich nerdy. Und klar, wir waren Nerds - aber nicht in diesem weltfremden Sinn. Wenn wir uns mit Erdnussflips und Schwipp-Schwapp in Nicks Höhle eingruben, dann war das nicht Selbstzweck, sondern hatte immer einen Sinn. Der konnte zum Beispiel darin bestehen, den Highscore eines Spastis aus der a zu schlagen oder die Nacktbildehen aus Samantha Fox Strip Poker abzuchecken, ohne auch nur eine Karte umdrehen zu müssen. Hardcore-Nerds dagegen beschäftigen sich mit Computern, weil sie klüger sein wollen als die Maschine. Und das wollten wir nie, uns ging es allein um den Spaßfaktor. Wir hielten es mit dem Motto von Eugene Jarvis, dem Programmierer von Defender : »Die einzig legitime Nutzung eines Computers besteht darin, Spiele zu spielen.« In der Mittelstufe fiel die Hardware-Grundlage unserer Freundschaft nach und nach weg. Der Commodore-Hype ebbte ab, bessere Maschinen wie der C128 und vor

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