Extraleben
allem der Amiga kamen auf den Markt. Vor allem Nick behielt die Szene zwar mit einem Auge immer noch im Blick, doch im Grunde genommen nur aus Gewohnheit. Hansa-Pils, Stufendiskos und wer mit wem was schon gemacht hatte waren deutlich wichtigere Themen. Wir deckten unsere Pubi-Pickel mit original ägyptischer Erde aus dem Kosmetikschrank von Nicks Mom ab und fixierten das Ganze mit Elnett-Haarspray. Hielt einen ganzen Abend, mindestens bis zum Flaschendrehen. Solche Sachen zementierten das Kumpelding. Was nicht heißt, dass wir all die Jahre dicke Freunde waren. Es gab Zeiten, da haben wir uns einfach ignoriert. Als Nick in der Oberstufe zum Beispiel zu sehr in schachvereinsmäßige Nerdkreise abdriftete, hielt ich lieber Abstand, um meine eigene Coolness nicht zu beschädigen. Nick wiederum schaltete Anfang der Neunziger auf Sendepause. als ich eine Hardcore-Popperperiode hatte und versuchte, wie Rick Astley auszusehen. Zusammen mit ein paar Jungs aus der Stadt machten wir auf dicke Hose, fuhren auf der Vespa in die Disko, während aus dem extra ins Handschuhfach eingebauten Radio ,,I wanna give you devotion. dröhnte. Nick hockte zu dieser Zeit vor seinem ersten PC - keine gute Wahl, wie ich damals fand. Zu Beginn des Studiums entdeckte auch er das Highlife, allerdings in der Öko-Variante. Zusammen mit irgendwelchen langhaarigen Informatik-Kommilitonen dampfte er sich ständig die Rübe zu, war zeitweise auf der Autobahn nach Maastricht zuhause und entwickelte sich in meinen Popper-Augen zu einem typischen Aso, den man auf Bowie-Konzerten antrifft. Irgendwann, nach einem dreitägigen Kiffmarathon. hat er von einer Minute auf die nächste damit aufgehört. Warum, hat er mir nie gesagt. Das Erwachsenwerden lief zwischen uns immer wie ein Rennen ab. Mal lag der eine vorne, mal holte der andere auf. Zum ersten Mal verliebt war Nick. Andrea hieß sie, wohnte zwei Häuser weiter bei ihren Eltern und studierte Jura. Sie war Studentin ! Diese Tatsache allein reichte, um das Hirn eines Oberprimaners zur Explosion zu bringen. Studentin, Sophie Marceau, noch Fragen? Wie das nun mal ist, erwischte es Nick eine Woche, bevor die kleine Brünette wegzog. Jahrelang hatte sie ihn ignoriert, und ausgerechnet an diesem Tag sprach sie ihn auf dem Wohnweg an; man könnte fast sagen, sie plauderten miteinander, sofern das möglich ist, wenn der Puls eines der Gesprächspartner ungefähr so rast wie bei einem Tornado-Piloten im Tiefflug. Das war zu viel für den guten Nick. Nachdem sie dann weggezogen war, fuhr er mit dem Bus in die Stadt, um dort im Hauptpostamt nach ihrer neuen Adresse zu fahnden. Seinerzeit lagen dort ja alle Telefonbücher der großen Städte aus, und da es noch kein Netz gab und keine reverse Auskunft, war das der einzige Weg, einen Unbekannten in der BRD aufzuspüren. In Berlin-Charlottenburg wurde er fündig, und da sind wir dann hingefahren. Acht Stunden hat das damals von uns aus gedauert; acht Stunden in einem bordeauxroten Abteil der Bundesbahn, davon vier Stunden im Kriechgang durch die Zone. Bescheuerte Idee. Das Ganze endete dann erwartungsgemäß mit einer Megapleite: Nachdem wir uns einen ganzen Nachmittag bei Eiseskälte vor Andreas mutmaßlicher Bude rumgedruckst haben, ging ein Typ in ihre Wohnung, den wir auf ungefähr 40 taxierten - wahrscheinlich war er 25, aber in dem Alter kann man Erwachsene ja noch nicht so gut einschätzen. Da das nur der Freund sein konnte, beschloss ich, die Observierung an diesem Punkt abzubrechen. Nick lenkte recht schnell ein; seine Gefühle waren durch die ganze Warterei wohl, haha, etwas abgekühlt. In dem Alter sieht man solche Sachen gottlob noch nicht so ernst. Jedenfalls endete so der erste in einer Reihe von vielen schwachsinnigen Kreuzzügen.
LEVEL 05
»Für die Jahreszeit zu kalt.« Seit Tagen beendet der Wettermann im Radio seine Vorhersage mit diesem bescheuerten Satz. Ja, wir haben Juni, ja, es gießt wie aus Kannen und das Autothermometer zeigt 15 Grad an. Aber streng genommen ist es nicht kälter als immer um diese Jahreszeit im Rheinland; Mitte Juni wird das Wetter zwischen Düsseldorf und Koblenz fies, da kann man die Uhr nach stellen, diese zwei Wochen Dauerregen kommen so sicher wie der Karneval. Trotzdem tun die Wettertypen immer so, als wenn niemand damit hätte rechnen können. Wir sitzen im Wagen Richtung Flughafen, und der Scheibenwischer läuft auf Hochtouren. Da Nick das Wetter grundsätzlich ignoriert, starte ich ein Gespräch über die
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