Extraleben
ist und seitdem jeden Kunden mit Kusshand begrüßt. Danach fahren wir in die Stadt rein, immer darauf bedacht, nicht in die als historisch beschilderte Altstadt zu geraten, denn das bedeutet normalerweise: gefakte Gaslaternen, Bistros, in denen Baguette aus biologischem Anbau gereicht wird, und eine Touristen-Bimmelbahn, die man nicht überholen darf. Wir passieren die Glaspaläste von Motorola und Yahoo, dann eine Filiale des Elektronikmarktes Fry's, der wie ein aztekischer Tempel aussieht. Insgesamt scheint Sunnyvale so eine Art Eschborn unter Palmen zu sein: eine Bürostadt, wo niemand wohnt. Entlang des Highways reiht sich ein Officepark an den nächsten, und jede Büroimmobilie sieht aus, als könne sie das Hauptquartier der Cyberdyne Corporation aus »Terminator II« sein: die Glasfront verspiegelt, der Mitarbeiterparkplatz umrahmt von prallem Golfrasen, die Bordsteinkanten vor der Einfahrt knallrot angemalt. Eine Firmenzentrale gleicht der nächsten. »Wow, jetzt ist das Mittelmaß aber voll«, gähnt Nick, während wir uns durch den Berufsverkehr quälen. Ich muss zugeben, dass es nicht danach aussieht, als würde unsere Odyssee einem dramatischen Höhepunkt entgegensteuern - eher einem Caffè Latte bei Starbucks. Dafür geht schon die Suche zu schnell: In Legenden müssen die Helden immer ein halbes Leben suchen, um den Heiligen Gral zu finden, wir brauchen gerade mal fünf Minuten, um vom Highway 101zu unserem Ziel zu kommen. Dann stehen wir vor dem mythischen Platz unserer Träume, der Hausnummer 157 West auf der El-Camino-Real- Straße, der Adresse von Andy Capp's Bar. Schon als wir auf den Parkplatz vor dem Haus einbiegen, wird klar, dass wir wieder eine Niete gezogen haben. Statt vor einer verlassenen Spelunke stehen wir vor einem adretten Flachbau, über dessen Fenstern blaue Markisen heraus gekurbelt wurden. Er beheimatet einen Comedyclub namens Rooster T.Feathers, was übersetzt - brüllend komisch - Gockel T. Feder heißt. Und das, so verkündet ein Schild im Fenster, schon seit 1980. Das heißt, selbst wenn wir an jenem Tag hierhergekommen wären, als Mike Krüger mit »Der Nippel« Nummer eins in den deutschen Charts war, hätten wir bei Andy Capp's vor verschlossenen Türen gestanden. Nick macht den Motor aus, und wir starren erst mal eine Minute wortlos zur Windschutzscheibe raus. Dann schwingt er sich laut stöhnend aus der Fahrertür, wie jemand, der vom Telefon aus seinem Mittagsschlaf gerissen wird. Auf einmal kommt mir unsere Reise noch sinnloser vor als ohnehin schon. Ich finde, das kalifornische Wetter hätte uns wenigstens ein paar dramatische Sturmwolken bescheren können, um dieser Szene etwas mehr Hollywood zu geben, für ein schönes Bild vor der Abblende: Kameraflug über dem Parkplatz, wir hocken auf dem Randstein, während die ersten Regentropfen an uns vorbeirasen und auf dem Asphalt zerplatzen, in Zeitlupe natürlich. Aber nein, stattdessen knallt die bescheuerte Ach-so-sunny- Sunnyvale-Sonne auf unsere Köpfe runter, und den einzigen Soundtrack liefert unser Entmündigungsmobil, das mit einem monotonen Ding-Ding-Ding vor der geöffneten Autotür warnt. Für ein paar Momente sieht es aus, als sei selbst Nicks unerschöpfliches Reservoir an Optimismus aufgebraucht. Er schaut mich an wie ein Roboter, der auf seine nächste Eingabe wartet. Ich versuche mich an einer nüchternen Analyse: »Also, in der Botschaft stand ja nichts davon, dass wir die exakte Adresse des ersten Quarter aufsuchen sollen, richtig?« Schon während ich spreche, geht mein eigener Bullshit- Alarm los. Mann, ich versuche doch bloß, der Sache einen würdigen Abschluss zu geben. Nick hört ohnehin nicht mehr zu. Er hat sich an die Fahrertür gelehnt, mit dem Rücken zum Geburtsort der Videospielkultur, und starrt hinaus auf die vierspurige Straße. Plötzlich reißt er die Augen auf. »Alter!« Ich drehe mich um, und dann sehe ich es auch: DATACORP. Die armhohen Messingbuchstaben glänzen in der Sonne, direkt auf dem Bürohaus gegenüber. Mit der serifenlosen Schrift erinnert das Logo an Firmen-Embleme aus den Achtzigerjahren, als Konzerne noch Namen trugen wie GloboTech Industries, World Economic Consortium oder United Amalgamated Conglomerated Holdings. Unfassbar. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rennen wir auf die Straße zu. Noch im Laufen frage ich mich, ob wir nicht vielleicht besser ein Sakko aus dem Koffer holen sollten. Wie überflüssig das wäre, merken wir schon, nachdem wir zwei der vier
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