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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Fahrspuren überquert haben und auf dem schmalen Mittelstreifen balancieren. In der Lobby des zweistöckigen Glaspalastes ist absolut nichts zu erkennen - weder Möbel noch Menschen. Von außen erinnert das Büro an ein bankrottes Autohaus oder die Lobby der Nakatomi Towers, kurz vor zwei Uhr nachts, bevor John McClane zum Aufräumen kommt. Wir treten von einem Bein auf das andere, bis sich eine Lücke im Verkehr auftut. Wenn jetzt ein Cop vorbeikommt, müssen wir bestimmt Strafe für unerlaubtes Überqueren zahlen - das gibt's in Kalifornien echt. Ein Bus mit vietnamesischer Werbung donnert vorbei, dann ist die Straße frei. Jetzt! Mit einem Sprung erreichen wir den Bürgersteig, rennen weiter. Um nicht wie ein Überfallkommando zu wirken, bremsen wir kurz vor dem Eingang zur Lobby ab und schlendern keuchend weiter. Surr, die automatische Tür geht auf. Wir setzen einen Schritt über die Schwelle - jetzt wird sich entscheiden, ob diese Forschungsreise ausnahmsweise mal mehr ist als eine ironische Inszenierung. Nach weiteren drei Schritten surrt die Tür hinter uns zu und sperrt den Straßenlärm aus. Eisige Kälte weht uns entgegen und kriecht die noch vom Autofahren nass geschwitzten Rücken hinunter. Wieder so ein Altersding. Die Datacorp-Lobby liegt still und dunkel wie eine Gruft da, die Gruft von Blake Carrington aus dem Denver Clan. Alles ist im sauberen Achtzigerjahre-Stil ausgeführt, mit viel Messing und braunem Granit, wie bei Nick zuhause. Rauchglas an der Decke filtert alles Licht bis auf einen gelbbraunen Schimmer heraus und taucht den Raum in einen ewigen Sonnenuntergang. Sollten hier einmal Möbel gestanden haben, wurden sie schon lange weggeräumt, dafür aber gründlich, denn der Granitboden schimmert so sauber, als könne man auf ihm gefahrlos ein Herz verpflanzen. »Can I help you?« Geräuschlos ist ein Mann aus der Tür hinter dem Empfangspult getreten. Er sieht aus wie Morgan Freeman, trägt ein blaues Sakko, darunter ein hellblaues Hemd, das er für einen Concierge recht leger aufgeknöpft hat. An der Marmorwand hinter ihm glänzen die Messingbuchstaben seines Arbeitgebers. Da es jetzt zu spät zum Umdrehen ist, gehen wir in die Offensive. »Yes,we'd like to talk to a Datacorp representative«, verlangt Nick forsch, so, als ob er sich bei einem McDonald's-Manager über kalte Pommes beschweren will. Wir müssen wirklich bescheuert aussehen, mit unseren Wanderstiefeln und den karierten Flanellhemden mitten im Silicon Valley, wie die letzten Hinterwäldler. Doch der farbige Gentleman lässt sich davon nichts anmerken und erklärt uns seelenruhig: »I'm afraid you are too late. The company has moved out yesterday. Sorry. You might want to check their website for their new location.« Duh, als ob wir das nicht schon vor einem halben Jahr gemacht hätten. Ich nicke trotzdem höflich und setze an, mich umzudrehen. In diesem Moment dreht sich auch der Mann um und verschwindet wie die Figur einer Spieluhr wieder hinter der Tür, aus der er gekommen war. Wir schauen uns um. In der Besucherecke hängen einige alte Netzwerkkabel aus einer Dose knapp über dem Fußboden, es gibt keine Anzeichen für Zugangskontrollen oder Kameras, vor dem gläsernen Aufzug hängt bereits ein out of service-Schild. Plötzlich bemerke ich etwas, das ganz und gar nicht zu der sakralen Aufgeräumtheit passen will: Am Fuß der Besuchertheke, dort, wo es der Empfangsmann nicht sehen kann, steht ein brauner Karton. 30 mal 50 Zentimeter vielleicht, so groß wie eine Bücherkiste beim Umzug. Er ist oben zugetaped, trägt keine Adresse oder sonst welche Aufschriften. Ich schaue zu Nick rüber und nicke Richtung Karton. »Was?«, flüstert er. »Warum steht der noch hier, wenn die gestern ausgezogen sind« Nick zuckt mit den Schultern. Ich grinse. Wir kennen uns jetzt schon fast 20 Jahre, und ich weiß ganz genau, was er jetzt denkt. Jeder von uns würde jetzt gerne den Karton mitnehmen, wäre da nicht diese tiefe Angst davor, irgendwie anzuecken. Keiner von uns hat jemals mit dem Fußball eine Scheibe eingeschossen, hat sich mit einem Spickzettel erwischen lassen oder an der holländischen Grenze mit Dope im Handschuhfach. Warum auch, wenn sich immer jemand findet, der für ein paar lächerliche Mark Gewinn das Zeug aus Maastricht mitbringt? Kein Risiko - kein Stress, so einfach ist das. Da waren Nick und ich uns schon immer unausgesprochen einig. Sollen sich doch die Idioten aus der c den Ärger einhandeln. Höchste Zeit, damit

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