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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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ja gar nicht leisten können. 20 Mark zu investieren, um wirklich auf den dreißigsten Schuss zu warten, war unvorstellbar. Nach kurzem Nachdenken doziert Nick weiter: »Angeblich kriegt man beim alten Atari Star Wars-Game, du weißt schon, das mit dem Vectorgrafik-Anflug auf den Todesstern, 255 Leben, wenn man Darth Vaders Tie-Fighter dreißigmal hintereinander trifft. Soll aber unmöglich sein. Funktionieren tut dagegen der Trick, am linken oberen Bildrand abzuhängen und so den Schüssen zu entgehen.« Weil ich weiß, wie viel Spaß ihm das Thema macht, gebe ich weitere Stichworte. »Was ist denn mit dem Commando-Cheat, bei dem man zum unteren Bildrand rausschießt, die Kugeln oben wieder rauskommen und die Gegner von hinten erwischen? Beim C64 funktionierte das nicht, aber beim Original aus der Spielhalle lässt sich mit dem Trick der Endlevel angeblich spielend leicht schaffen. Und kann man bei Duck Hunt jetzt den Hund abschießen, der die abgeballerten Enten einsammelt, oder nicht?« »Commando geht, Duck Hunt ist eine reine Legende«, stellt Nick trocken fest. »Und der Atari Shuffle?« So hieß damals ein Trick, mit dem sich die Kids in den Arcaden früher angeblich ein Freispiel bei Pong beschafft haben. Damals ging das Gerücht um, ein kleiner elektrischer Schock am Einwurfschlitz würde dem Computer vorgaukeln, ein Geldstück sei eingeworfen worden. Um sich mit der nötigen statischen Elektrizität aufzuladen, rieben die Zocker daraufhin wie wild ihre Nike-Air-Turnschuhe am bordeauxroten Teppichboden. Da das Ganze wie ein Tanz aussah, taufte man den Trick Atari Shuffle. Angeblich sollen Nylonblousons - gegen den Teppich gerieben - auch funktioniert haben. »Da meine neongrüne Elho-Freestyle-Jacke gerade zusammen mit der Vanilla-Jeans in der Wäsche ist, können wir das nicht ausprobieren«, witzelt Nick, »und den Trick mit den Quartern aus gefrorenem Wasser würde ich lieber nicht testen«. Und so geht sie weiter, die Rundfahrt um alle Themen, die uns Freude machen: Wir spekulieren über Intelink, das geheime Datennetz der amerikanischen Geheimdienste, fragen uns, was auf den Fernsehaufzeichnungen von der Mondlandung zu sehen ist, die die NASA verschlampt hat, diskutieren über den neuesten UFO-Hype - unbekannte Unterseeobjekte. Unterdessen fädele und markiere ich, während sich der Windowsbalken im Kopf nach und nach füllt. 8K, 9 K, 10 K. Welches Geheimnis diese Löcher wohl bergen? Was Unterhaltung angeht, sind wir auf uns selbst gestellt, da der Motelbesitzer wohl vergessen hat, die Kabelgebühren zu zahlen. Im Fernsehen läuft nämlich nichts. Nicht im Frauensinn, also »kein Film mit Hugh Grant«, sondern wirklich nichts. Alle Kanäle sind schwarz, bis auf den Schriftzug: »Your digital service has been disconnected. Please contact your cable operator for assistance.« Auf dem breiten Boulevard, der sich quer durch Blythe zieht, rumpeln die mexikanischen Wanderarbeiter mit ihren ramponierten Pickups in den Sonnenuntergang. Für ein paar Minuten brennt der Himmel, und wenn vor dem Scherenschnitt der Flachdächer ein paar einsame Palmen tanzen, kann man fast verstehen, warum die Leute denken, hinter den Bergen im Westen fange das Gelobte Land an. Nach gefühlten fünf Stunden surrt der Kopf des 10-Dollar- Scanners das letzte Mal in seine Ausgangsposition zurück - fertig. Meine Fleißarbeit hat ein ganzes Verzeichnis voller Grafikdateien produziert; irgendwo da drin muss das letzte Puzzleteil vergraben sein. Beiläufig fällt mein Blick auf das Ende des Lochstreifens, der sich über den fleckigen, grauen Teppich kringelt. Auf dem letzten Zentimeter schimmert blass ein Wasserzeichen durch. Ich halte den Streifen ins Licht. Deutlich sind nun die Buchstaben erkennbar: DEC. »Alter, schau mal.« Nick beugt sich von draußen rein und zieht den Streifen zu sich rüber: »Scheiße.« »Warum scheiße?« »DEC steht für Digital Equipment Corporation; das war in den Siebzigern der führende Hersteller von Mainframes. Nicht gerade unsere Liga; das bedeutet echt Arbeit, Alter.« Sofort scheint seine gute Laune verflogen zu sein. Großrechner. Elektronenhirne. Das Master Control Program. Ein riesiger white room, eingemauert von Schränken, in denen Magnetbänder wie stumme Sklaven hin- und herzucken. In Zeitlupe schreitet eine Datentypistin, die aussieht wie Laura Holt aus der TV-Serie »Remington Steele«, quer durch den Raum zu einem der Schränke. Bedächtig wechselt sie eine Spule, fädelt das Band wieder

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