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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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ein und kehrt - immer noch in Zeitlupe - an ihr Terminal zurück. Ihre hochgeschlossene Seidenbluse flattert in der klimatisierten Luft, wie bei einem Model, das vor einem Ventilator posiert. Als sie beim Hinsetzen die Beine übereinander schlägt, rutscht der Saum ihres Tweedrocks - in einer finalen Explosion von Cheesyness - leicht hoch. Dann ist nur noch das leise Klickern ihrer manikürten Fingernägel auf der Tastatur zu hören, während sie auf die bernsteinfarbene Schrift des Monitors starrt. Futureworld - willkommen in der Welt von Morgen. Nochmal mit Echo: Futureworld-world-world-orld-ld-d-d. So versiert wir früher mit unseren 8-Bittern waren - von dieser Welt trennten uns schon immer Lichtjahre. Unser einziger Kontakt zum Planeten der Mainframes war dieses Papier, das mein Klassenkamerad Roland Alpers in der Unterstufe immer in die Schule mitbrachte. Sein Dad arbeitete in einem staatlichen Forschungszentrum, irgendwas in Richtung Radioastronomie, Kernkraft oder Teilchenbeschleunigung. Was er genau machte, konnte selbst Roland nicht erklären. Eines jedenfalls stand fest: Es wurde viel dabei ausgedruckt. Und um das Budget der Schule zu schonen, spendete sein Vater stapelweise benutztes Papier aus dem »Institut«, wie Roland immer sagte. Es war am Rand perforiert, hatte vorne grüne Streifen drauf, und manchmal konnte man noch die Spuren eines Nadeldruckers erkennen, der einige Zahlen und Buchstaben ins Papier gehämmert hatte. Viele Erdkundestunden haben wir über diesen geheimnisvollen Artefakten gebrütet, anstatt uns mit den Endmoränen der Eiszeit zu beschäftigen. Brutal reißt mich Nick aus meiner Retro-Vision: »Lass uns erstmal was essen.« Dabei wehte gerade so eine angenehme Nostalgiebrise von Sechzigerjahre-EDV heran. Das ist auch so ein Ding: Sehnsucht nach alten Zeiten, die man selbst nie erlebt hat. Mit dem 68er-Kram zum Beispiel kann ich nichts anfangen, und trotzdem gibt es Momente, da glaube ich zu wissen, was meine Eltern an dem Tag fühlten, als Benno Ohnesorg starb. Oder als 1989 die erste Loveparade über den Kudamm zog.
     
    LEVEL 19
     
    »Smoking or non-smoking?«, quakt die hübsche Philippina am Empfang. Seit ein paar Jahren hat diese Frage in Restaurants die nette Begrüßung »How are you today?« vergangener Tage abgelöst. So auch heute. Ich habe Appetit auf Rebellion und gebe an, Raucher zu sein. Bis vor wenigen Jahren haben wir das häufiger gemacht, weil in der Rauchersektion damals noch die cooleren Leute saßen; mittlerweile ist man da nur noch unter Freaks. Zunächst folgt das attraktive Empfangskomitee der Anweisung und bahnt uns eine Schneise durch das übersichtliche Lokal, in dem wir uns durchaus selbst hätten zurechtfinden können. Auf dem halben Weg zu unseren designierten Plätzen scheint sie doch noch Zweifel zu bekommen, schaut über die Schulter und vergewissert sich. »Really? You don't look like smokers.« »Why's that?«, will ich wissen. »You look nice and clean«, erklärt die Studentin. Das ist doch was! Wir haben anscheinend ein Alter erreicht, in dem man sich schon darüber freut, Reinlichkeit attestiert zu bekommen. Nicht dirty old men, sondern nur old men, wunderbar. Am Platz angekommen übernimmt eine deutlich unattraktivere College-Göre das Kommando. Wir denken kurz darüber nach, wie sie die Ecke in ihrem Schneidezahn verloren hat, und tippen auf Freund und/ oder Vater. Aber so sind die Regeln im Diner nun mal: vorne Miss California, hinten Mauerblümchen - ein gnadenloses Gefälle, auf das wir immer wieder gerne reinfallen. Wir versinken handbreit in den hellbeigen Polstern und schweigen ausgiebig. Ich beobachte, wie Nick seinen Rechner hochfährt. Manchmal denke ich, er könnte auf dem rechten Auge eine Augenklappe tragen und ich würde es nicht mal merken. Denn entweder er sitzt auf dem Beifahrersitz, da sehe ich ihn ja nur von links, oder wir essen, und das bedeutet, mein Kumpel schaufelt sich mit der linken Hand die Kalorien rein, während er nach rechts auf seinen Rechner starrt, den er fast immer dabei hat. Heute Abend steht rechts das »PDP11 Handbook« auf seinem Menü, dazu links ein BLT-Sandwich mit so viel gebratenem Schinken, dass ich Angst habe, Nick könnte noch vor dem Bezahlen so durchsichtig werden wie das Papierchen, auf dem der Fettlappen serviert wurde. Wir sitzen in einem alten Coffeeshop direkt an der Auffahrt zur Interstate, einem der letzten Vertreter dieser aussterbenden Gastro-Dinosaurier. Nach den vielen verlassenen

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