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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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wir uns, wie es da wohl aussieht, mitten in Grönland. Nick meint, der Name klinge irgendwie nach Walhalla, und er stelle sich dabei eine Art verschneite »Herr der Ringe«-Landschaft vor, mit steilen Felsnadeln unter schwarzen Wolken. Ich denke bei Godthâb eher an eine Betonpiste mitten in der Eiswüste, über der amerikanische B-52-Atombomber kreisen, um im Fall eines russischen Angriffs sofort zurückschlagen zu können. Auf jeden Fall müsse dieses Kaff im Nirgendwo ein mythischer Ort sein, da sind wir uns einig, und irgendwann sollten wir da mal hinfahren. Ernst gemeint war dieser Plan natürlich nie, schließlich gehört es zu unseren erklärten Grundregeln, Natur nur in homöopathischen Dosen zu genießen. Und nach einer Convenience-Wildnis, mit trockenem Bett und Steak in maximal zwei Autostunden Entfernung, sieht es in Godthâb echt nicht aus. Aus dem Flugzeugfenster konnte man immer nur endlose Gletscher erkennen. Nick kneift die Augen zusammen, um den Ortsnamen zu lesen, der sich hinter den geheimnisvollen Koordinaten verbirgt. »Kan-ger-l-u-s-s-a-q, nein: Kangerlussuaq. Was auch immer.« Jedenfalls nicht Godthâb, schade, aber gar nicht so weit weg. Auf der Karte sieht Grönland aus, als habe es Thor persönlich als gigantischen Keil zwischen Europa und Amerika geschoben. Um den einsamen Eisberg mitten im Atlantik zu erreichen, war Charles Lindbergh noch einen halben Tag unterwegs, mit der Concorde hätte er nur anderthalb Stunden gebraucht. Mit ein paar Handverrenkungen, die wie Gang-Erkennungszeichen aus einem 2Pac - Video aussehen, geht Nick auf Vergrößerungsmodus. Das weiße Dreieck namens Grönland bekommt Konturen, nach und nach funkt der Geoserver die Details hinterher - Inseln, Buchten, Flusstäler. Als ob man von oben auf einen Zimtstern zufliegt, taucht am Rand des riesigen weißen Landes plötzlich eine feine braune Linie auf: die eisfreie Küste. Klick, wir zoomen noch mal tausend Meilen näher ran. Auf dem Bildschirm baut sich eine Landschaft auf, die aus der Urzeit der Erde übrig geblieben zu sein scheint: Riesige türkis blaue Linien, wohl Fjorde, schneiden sich tief in die braune Kruste ein und verschwinden am Fuß von gigantischen Gletschern. Kleine und große Inseln unterbrechen die Küstenlinie und lassen sie wie die scharfen Kanten einer abgeschlagenen Glasscheibe aussehen. Es muss ein raues Land sein da oben, denn außer den Schneefeldern, die aus dem Orbit wie verstreuter Puderzucker aussehen, zeigt der Monitor an der Küste nichts an - nur ein paar braune und grüne Pixel. Vom Grau, normalerweise Anzeichen für Städte, keine Spur. Erst auf der höchsten Vergrößerungsstufe zeichnet sich ein fahler Streifen am Ufer eines Fjordes ab. Ein Flughafen, mitten am Punkt X! Die IATA-Datenbank listet den Airport unter dem Kürzel SFJ. Kangerlussuaq Airport. Eine Runway mit Ausrichtung 10/28, Länge: 2815 Meter, Material: Asphalt. Drei Kilometer, genug für eine Concorde oder jedes andere Verkehrsflugzeug. Das Blut in den Adern, die sich seit ein paar Jahren ziemlich unattraktiv an meiner Schläfe abzeichnen, beginnt zu pochen. Unsere Reise in das Herz von Transatlantika kann beginnen, in die Mitte von Alter und Neuer Welt. Der letzte Level beginnt, der Endgegner wartet. Jetzt, wo die Zielzone auf dem Satellitenbild zu sehen ist, bin ich mir fast sicher, dass die Sterne mit der codierten Nachricht in Raid over Moscow ziemlich genau über diesem Airport am Ende der Welt standen. Au Baut du Monde, at the End of the World as we know it. Keine Frage, der Trip ist ein Muss und Nicks Zustimmung reine Formsache: »Ist doch ein klares Ziel, oder?«, frage ich. Aber anstatt zu antworten, dreht Nick genüsslich einen Dorito- Kartoffelchip zwischen seinen Fingern hin und her, inspiziert das Loch in der Mitte und schnippt ihn dann in hohem Bogen in den Mund. Vor unseren Füßen gurgelt der Wasserablauf des Pools vor sich hin. Eine Grille zirpt in den Blättern der einsamen Palme auf dem Innenhof. Das obligatorische »Klar, Alter« lässt ziemlich lange auf sich warten. Ungeduldig drehe ich mich zu Nick um. Der stiert völlig unberührt von meiner Frage auf die Motellobby und den schmalen Streifen Boulevard, der durch die Einfahrt zu sehen ist. Von links nach rechts folgen seine Augen den Passanten und wieder zurück. Dann, als wolle er es besonders spannend machen, legt Nick die Chipstüte weg, nippt noch mal an seinem Bier und sagt ganz ruhig: »Äh, nein.« Das kann er nicht ernst meinen. »Wie

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