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Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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geschäftiger Kriegshafen; alles in allem ein
wichtiger Bestandteil der Kriegsbestrebungen der Barbaren. Seine
Zerstörung würde der Seite zugute kommen, die die
Loyalität des Kastellans besaß; der Sache, an die er
uneingeschränkt glaubte; es war jedoch keineswegs sicher,
daß das auf lange Sicht Leben retten würde. In der Stadt
lebten aber auch Zivilisten; die größere Zahl von
Unschuldigen, nämlich die Frauen und Kinder und
unterdrückten Angehörigen der unteren Klasse, ganz zu
schweigen von den harmlosen anderen aus neutralen Ländern, die
ganz zufällig ohne eigenes Verschulden in die Kriegswirren
geraten waren. Hatte er das Recht, auch sie wegzupusten, indem er die
Stadt vernichtete?
    Er legte das Blatt Papier aus der Hand. Er betrachtete sein Abbild
in einem entfernten Spiegel.
    Tod. Bei dieser ganzen Entscheidung bestand kein Zweifel über
sein eigenes Schicksal, nur darüber, wie er in der Erinnerung
weiterleben würde. Als humanitäre Größe, oder
als Schwächling? Als Massenmörder, oder als Held?
    Tod. Wie seltsam, jetzt darüber nachzudenken.
    Er hatte sich immer gefragt, wie er ihm gegenübertreten
würde. Natürlich, es gab eine gewisse weiterführende
Existenz. Daran glaubte er; er glaubte an den Trost der Priester,
daß seine Seele in einem großen Buch gespeichert
würde, irgendwo, mit der Aussicht auf Wiedererweckung. Aber genau dieser Er, der er jetzt war – der würde
mit Sicherheit aufhören zu sein, und zwar bald; damit war es
vorbei.
    Der Tod, so hatte er einmal jemanden sagen hören, war eine
Art von Sieg. Ein langes, gutes Leben gelebt zu haben, ein Leben voll
wunderbarer Freuden und geringstmöglichem Elend, und dann zu
sterben; das bedeutete, gewonnen zu haben. Bei dem Versuch, bis in
alle Ewigkeit hinnieden zu verweilen, lief man Gefahr,
schließlich in irgendeiner entsetzlichen, bis jetzt noch nie
erfahrenen Horror-Zukunft zu enden. Wie wäre es, wenn man ewig
lebte und alles, was zuvor gewesen war, wie schlimm die Dinge einem
in der Vergangenheit auch erschienen waren, wie sehr Leute andere
Leute in der Geschichte auch gepeinigt hatten, nichts verglichen
damit wäre, was noch bevorstehen würde? Angenommen, in
diesem großen Buch der Zeiten, in dem die Geschichte von allem
und jedem festgehalten war, daß alles Gewesene, die gesamte
abgeschlossene Vergangenheit lediglich eine strahlende,
glückliche Einführung war, verglichen mit dem Hauptteil des
Werks, einer unendlichen Erzählung von unerträglichem
Schmerz, mit Blut eingeritzt in ein Pergament aus lebendiger
Haut?
    Besser zu sterben, als das zu riskieren.
    Lebe gut, und stirb dann, so daß das Du, das du bist,
niemals wieder sein kann, und nur durch eine trickreiche
Täuschung kann etwas wiedergeschaffen werden, das sich
vielleicht für dich hält, aber nicht du bist.
    Das äußere Tor fiel; er hörte es zusammenbrechen.
Der Kastellan stand auf und ging zum Fenster. Drunten im Hof
durchbrachen die barbarischen Soldaten die letzte
Verteidigungslinie.
    Bald. Die Entscheidung, die Entscheidung. Er hätte eine
Münze werfen können, aber das wäre… billig
gewesen. Unwürdig.
    Er ging zu dem Gerät, das das Anwesen der Botschaft
zerstören würde, und auch die Stadt, wenn er sich
dafür entschiede.
    Auch in dieser Hinsicht hatte er keine echte Wahl.
    Es würde wieder Frieden herrschen. Die Frage war nur
wann.
    Er konnte nicht voraussehen, ob letzten Endes mehr Leute leiden
und sterben würden, weil er sich dafür entschieden hatte,
die Stadt nicht zu zerstören, aber zumindest würden auf
diese Weise der Schaden und die Opfer für die
längstmögliche Zeit auf ein Minimum begrenzt sein. Und wenn
man ihn in der Zukunft dafür verurteilen würde, daß
er unrichtig gehandelt und die falsche Entscheidung getroffen
hatte… nun, der Tod brachte ihm den weiteren Vorteil ein,
daß er nicht anwesend sein würde, um von diesem Urteil
Kenntnis zu nehmen.
    Er prüfte noch einmal, ob das Gerät wirklich so
eingestellt war, daß nur die Botschaft zerstört
würde, dann wartete er noch einen Augenblick, um sicherzugehen,
daß er seine bevorstehende Handlung in Ruhe und bei klarem
Verstand durchführen würde, und schließlich –
während ihm Tränen in die Augen stiegen – aktivierte
er das Gerät.
    Das Modul Scopell-Afranqui zerstörte sich selbst in einem
Blinzeln vernichtender Energien, deren Zentrum in seinem KI-Kern lag,
und löschte es vollkommen aus; das Modul selbst wurde in eine
Million Teile gesprengt. Die Explosion schickte

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