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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Verstoß gegen das Versammlungs- oder das Vereinsgesetz wurde rigoros geahndet. Heute hingegen zählte es schon beinahe zum guten Ton, sich Meriten im Straßenkampf zu erwerben. Vor allem die Parteiarmeen, die in den letzten Jahren entstanden waren, die Heimwehren und der Schutzbund, huldigten einem kriegerischen Ethos, das ihm, Bronstein, zutiefst zuwider war. Aber er war ja auch tatsächlich im Krieg gewesen und wusste daher aus eigener Erfahrung, dass der Krieg nichts Glorreiches an sich hatte, während die meisten Angehörigen der diversen parteipolitischen Schlägertruppen halbe Kinder waren, die den Krieg nur aus Erzählungen kannten. Und diese Erzählungen entsprachen in den allerseltensten Fällen auch nur annähernd der Wahrheit.
    Dabei hätte alles gut werden können, erinnerte sich Bronstein. Es war gerade einmal sieben Jahre her, da waren Rot und Schwarz noch friedlich vereint gemeinsam auf der Regierungsbank gesessen. Das alte Österreich war mit den Habsburgern in die Gruft gesunken, doch was vielen als der ultimative Weltuntergang erschienen war, wurde auf einmal zum Keimfür eine wunderbare Wiedergeburt. Die neue republikanische Regierung hatte die Sozial- und die Krankenversicherung eingeführt, die Arbeitszeit herabgesetzt, Pensionsregelungen geschaffen, die dafür sorgten, dass niemand ins Elend kam, wenn er nicht mehr arbeiten konnte. Bronstein hatte zittrige Greise gekannt, die vor dem Krieg im Präsidium Akten abmalten, weil sie durch irgendwelche Widrigkeiten des Schicksals kein Geld für einen Ruhestand in Würde besaßen. Damit war es nun vorbei. Die Republik kümmerte sich um ihre Alten. Und die Jungen erhielten sogar zwei Wochen Urlaub im Jahr, in denen man sich erholen und neue Kraft tanken konnte. Davon profitierten alle. Die Werktätigen, weil sie nicht vor der Zeit hinfällig wurden, die Brotherren, weil ihre Arbeiter mit neuem Elan ans Werk gingen, und die Pensionen, weil die Urlauber bei ihnen Station machten. Er selbst fuhr jedes Jahr ins Semmeringgebiet auf Sommerfrische, worauf er sich immer schon Wochen zuvor freute. Umso mehr an diesem Samstag, denn er war praktisch bereits auf Urlaub. Am nächsten Tag würde es ins „Panhans“ gehen. Das waren doch Errungenschaften, auf die man stolz sein konnte. Wozu dann all dieser Hader, all dieser Hass zwischen den Parteiungen? Man konnte doch seine Überzeugungen haben, ohne deswegen einem anderen die seinen absprechen zu müssen.
    Bronstein seufzte wiederum. Er schnitt sich eine Scheibe Brot ab, belegte diese mit ein wenig Emmentaler und biss sodann herzhaft hinein. Er kaute langsam und mit Hingabe, und erst als wirklich alles in seinem Schlund verschwunden war, spülte er einen Schluck Kaffee hinterher. Wo war er stehengeblieben? Ach ja, bei der Ausgabe vom gestrigen Tag.
    Ein 74-jähriger Landwirt namens Andreas Adrian wurde da als Zeuge verhört, doch seine Angaben erhellten die ganze Causa ebenso wenig wie jene der beiden Knaben, die nach ihm vor die Schranken des Gerichts traten. Erstaunlich fandBronstein sodann den Antrag des Verteidigers, den Landeshauptmann und seinen Stellvertreter als Zeugen einzuvernehmen. Abgesehen davon, dass die beiden wohl kaum „Zeugen“ der Ereignisse in Schattendorf gewesen waren und ihrer Aussage daher keinerlei Gewicht zukommen konnte, überraschte es Bronstein, dass im Burgenland die schwarz-rote Koalition noch in Amt und Würden war. Der schwarze Landeshauptmann hatte einen roten Stellvertreter. Kurz überlegte Bronstein, ob dies nicht prinzipiell so geordnet sei, denn auch in Niederösterreich gab es einen roten Stellvertreter, doch eigentlich war es überaus absurd, dass die führenden Vertreter der Parteien an einem Tisch saßen, während sich ihre Parteigänger gegenseitig umbrachten. Derlei konnte einem gedeihlichen Zusammenleben wohl kaum förderlich sein.
    Wenig überraschend kam für Bronstein, als er die Spalte wechselte, die Nachricht, dass der vorsitzende Richter den Antrag auf Einvernahme der beiden Spitzenpolitiker abgelehnt hatte. Damit war der dritte Verhandlungstag zu Ende gegangen. Bronstein zündete sich eine Zigarette an und wollte nach der nächsten Ausgabe greifen. Doch diese war nicht da. Richtig, fiel es Bronstein ein. Die nächste Ausgabe war die aktuelle, die vom Samstag, und er war einfach noch nicht vor der Tür gewesen. So ging er, die Zigarette im Mundwinkel, in sein Vorzimmer und öffnete die Wohnungstür. Im kupfernen Briefkasten steckte die gesuchte Ausgabe.

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