Ezzes
Weinflasche auf die Spüle. Langsam und bedächtig ging er zu seiner Bettstatt, wo er sich der Kleidung entledigte, um sich hernach auf das Kissen zu betten. Er verschränkte seine Hände hinter demKopf und starrte unverwandt in die Dunkelheit. So verharrte er eine ganze Weile, und als er endlich in unruhigen Schlummer sank, da träumte er von weichen, sanften Frauenhänden, von beruhigender Zärtlichkeit, von Fürsorge und liebevoller Zuwendung. Doch die Frau, die ihm all dies zuteil werden ließ, die trug nicht die Züge einer Stepanek, einer Gindl oder eines slowakischen Freudenmädchens, diese Frau hatte das Antlitz von Jelka.
III. Samstag, 9. Juli 1927
Ob der sommerlichen Hitze konnte Bronstein nicht wirklich gut schlafen. Immer wieder erwachte er und wälzte sich dann eine gute Weile in seinem Bett herum, ehe er wieder ein wenig einschlummerte, um nur allzu bald erneut munter zu werden. Der Fall, so musste er sich bald eingestehen, ließ ihn nicht los, und immer wieder erstand die Leiche Guschlbauers vor seinem geistigen Auge, und es ärgerte ihn, dass er die Person dieses Mannes so gar nicht fassen konnte. Wo würde er doch noch Informationen über ihn beziehen können, fragte sich Bronstein, während er die Decke seines Schlafzimmers anstarrte.
Da an Schlaf nun ohnehin nicht mehr zu denken war, erhob er sich und stellte in der Küche Kaffee zu. Er griff nach dem Laib Brot, der in ein Tuch eingewickelt in der Brotdose lag, und trug ihn zu seinem Esstisch, wo er ihn in der Mitte platzierte. Dabei fiel sein Blick auf die „Wiener Zeitung“ vom Vortag, und mit einem Mal fiel ihm ein, dass er seit Tagen keine Zeitung mehr gelesen hatte. Seit Mittwoch nicht mehr, wie er sich eingestand.
Tatsächlich lagen die fraglichen Nummern fein säuberlich übereinander, und nachdem er den Kaffee in ein Häferl getan, gezuckert und mit Milch versehen hatte, setzte Bronstein sich an den Tisch und blätterte gedankenverloren die Mittwochausgabe durch. Auf Seite 4 blieb sein Blick an einem Artikel hängen, der „Die Vorfälle in Schattendorf“ betitelt war. Bronstein erinnerte sich. Im Jänner war es dort zu einer Schießerei gekommen, bei der irgendwelche Schwarzen irgendwelche Roten umgebracht hatten. Offenbar standen die Täter jetzt vor Gericht.
Bronstein brauchte nur ein paar Zeilen des Berichts zu lesen, dann konnte er sich an die Geschichte wieder genau erinnern. Die Sozis hatten am 30. Jänner in dem burgenländischen Ort eine Demonstration abgehalten, die plötzlich und unerwartet aus einem Gasthaus beschossen worden war. Die tumultartigen Szenen, die darauf folgten, trugen zur weiteren Eskalation bei, am Ende blieben ein Kriegsinvalide, der vierzigjährige Hilfsarbeiter Matthias Csmarits, wie Bronstein jetzt nachlesen konnte, sowie das achtjährige Kind Josef Grössing, tot im Straßenstaub liegen. Angeklagt waren nun die beiden Söhne des Wirts, Josef und Hieronymus Tscharmann, sowie ein Müllersbursche namens Johann Pinter. Die Staatsanwaltschaft hatte sich auf den Paragraphen 87 des Strafgesetzbuches berufen, der, wie Bronstein aus langjähriger Routine wusste, öffentliche Gewalttätigkeiten regelte. Die Zeitung nannte dies „bösartige Handlungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen“. Die Angeklagten wurden von Walter Riehl verteidigt, was Bronstein unwillkürlich zu einem spöttischen Grinsen veranlasste. Riehl war innerhalb der Polizei als überaus umtriebiger Nationalsozialist bekannt. Vor knapp zwei Jahren hatte er den Mörder des Schriftstellers Hugo Bettauer vor einer Haftstrafe bewahrt, indem er auf zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit plädiert hatte, ein Antrag, dem glatt Folge geleistet worden war, was Bronstein damals sehr gewundert hatte, denn in seinen Augen war ein Nazi – und Bettauers Mörder war gleichfalls Parteigänger der braunen Horden – keineswegs temporär, sondern generell unzurechnungsfähig. Jedenfalls munkelte man, dass Riehl in dieser dubiosen politischen Gruppierung eine ganz große Nummer war, und es schien auch etwas Wahres an diesen Gerüchten zu sein, denn Riehl war bei den Wahlen im Frühjahr von den Christlichsozialen auf ihre Einheitsliste gesetzt worden. Wie viele Stimmen er dem Bürgerblock wirklich gebracht hatte, war aber ein Geheimnis geblieben.
Zum Fall selbst war zu sagen, dass die Anklage überaus defensiv vorging. Auf öffentliche Gewalttätigkeit zu plädieren, bedeutete, dass die Staatsanwaltschaft selbst nicht davon ausging, dass die Täter
Weitere Kostenlose Bücher