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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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ernstlich jemandem schaden wollten, und Bronstein konnte sich gut vorstellen, dass Riehls Verteidigung just auf diesen Aspekt aufgebaut sein würde. Außerdem konnte die Staatsanwaltschaft den eigentlichen Todesschützen nicht namentlich benennen, was ohne Frage ein weiterer grundlegender Schwachpunkt der Anklage war. Riehl, so war sich Bronstein sicher, hatte eine verhältnismäßig leichte Aufgabe. Solange die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen konnte, wer nun der Mordschütze war, so lange würde die Unschuldsvermutung alle drei Angeklagten schützen.
    Am ersten Tag des Prozesses war der Hauptangeklagte, Josef Tscharmann, einvernommen worden, und der hatte sichtlich gleich einmal auf Notwehr plädiert. Er hatte darauf hingewiesen, dass er und seine Freunde sich vor der auf das Gasthaus zumarschierenden Demonstration so gefürchtet hätten, dass sie Angst um Leib und Leben hatten. Es hätten sich, so Tscharmann, unter den Roten Zuchthäusler und Gewalttäter befunden, außerdem sei das Gerücht umgegangen, dass sie bereits einen Gesinnungsgenossen der Tscharmanns auf dem Weg zum Gasthaus erschlagen hätten. Da habe man zum Zwecke der Abschreckung ein paar Schüsse abgegeben.
    Dann kam Riehls erster großer Auftritt. Nachdem er elegant darauf hingewiesen hatte, dass der Anführer des Schutzbundes, ein Mann namens Preschitz, hoher Funktionär der ungarischen Räterepublik gewesen war, der unter anderem einen Pfarrer habe hinrichten lassen, ließ er Tscharmann sagen, dass zuerst von der Straße aus Schüsse gefallen seien, und dort hätten sich nur Sozialdemokraten befunden. Die Roten hätten also provoziert, er, Tscharmann, habe sich nur zur Wehr setzen wollen.
    An dieser Stelle war der Prozess offenbar unterbrochen worden. Bronstein hatte Lunte gerochen, er wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergegangen war, und so griff er sofort nach der Donnerstagausgabe, um dort den entsprechenden Artikel zu suchen.
    Der zweite Verhandlungstag hatte mit der Einvernahme des jüngeren Tscharmann begonnen, der angab, nur ein einziges Mal geschossen zu haben, weil er es nicht vermocht habe, sein Gewehr hernach wieder zu laden. Der Müllersbursch wiederum hetzte zuerst kräftig gegen die Sozis, indem er deren Häuptling Preschitz attestierte, schon viele Menschen ermordet zu haben, um dann allgemein zu erklären, die Gefolgsleute des Preschitz seien allesamt Kommunisten. Und da man gehört hatte, dass sie schon auf dem Weg zum Tscharmann’schen Gasthaus etliche Patrioten ermordet hätten, war man im Gasthof zur Notwehr gezwungen gewesen. Er selbst habe drei oder vier Schüsse abgegeben, doch das seien die allerersten Schüsse in seinem ganzen Leben gewesen, beteuerte der Müller.
    Entlarvend fand Bronstein eine an sich lapidare Mitteilung des alten Tscharmann auf die Frage, weshalb er sein Gasthaus den Frontkämpfern überhaupt zur Verfügung gestellt habe. Der zweite Wirt im Ort, ein Mann namens Moser, biete den Sozis seine Wirtschaft als Versammlungsort an, und so habe er, Tscharmann, seines eben der anderen politischen Fraktion zur Verfügung gestellt, „damit ich auch ein Geschäft mache“. Ja, dachte sich er, so war das in der Politik. Letztlich ging es immer nur darum, ein Geschäft zu machen. Eher belustigt stellte Bronstein fest, dass die Verhandlung schließlich nach einem heftigen Wortwechsel zwischen den beiden Anwälten vertagt worden war, da, wie der Richter lyrisch erklärt hatte, „die Nerven zu sehr gespannt“ seien.
    Bronstein klappte die Ausgabe vom Donnerstag zu und griff nach der vom Freitag. Er musste zugeben, dass ihn der Fallernsthaft zu interessieren begann. Als die ganze Sache vor einem halben Jahr vorgefallen war, hatte ihr kaum jemand Bedeutung beigemessen. Eine weitere Wirtshausschlägerei, wie sie in den hinteren Provinzen des Landes alle Tage vorkomme, hatte es damals lapidar gezeißen. Dass Schwarze und Rote einander nicht grün waren, das wussten selbst die unpolitischsten Zeitgenossen, und so war es naheliegend, dass sie sich immer wieder einmal blaue Flecken zufügten. Wenn natürlich stets beide Seiten unisono beteuerten, die jeweils andere Seite habe angefangen, so war es doch völlig klar, dass keiner von beiden eine weiße Weste hatte.
    Bronstein seufzte. Was war aus diesem Staat nur geworden? Als er vor nahezu zwanzig Jahren in den Polizeidienst eingetreten war, da wäre es unvorstellbar gewesen, dass die Obrigkeit politische Prügeleien geduldet hätte. Selbst der kleinste

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