Ezzes
„des is a politische G’schicht. Der Guschlbauer war ein ausgewiesener Parteigänger der Regierung, und als solcher natürlich der Opposition ein Dorn im Auge.“
Bronstein kämpfte nun noch heftiger gegen sein Schmunzelbedürfnis an. Dass der Guschlbauer politisch tätig gewesen war, das wussten wahrscheinlich nicht einmal die zuständigen Parteisekretäre. Ebenso gut hätte man behaupten können, der große Krieg hätte begonnen, weil die Mittelmächte den Bürgermeister von Podgorica absetzen wollten.
„Und Guschlbauer war, wie Sie ja selbst schon erkannt haben, ein Mann der Wirtschaft. Das heißt, er war doppelt gefährdet. Die Roten hassen nichts mehr als jemanden, der brav arbeitet, ehrlich ist und fleißig. Außerdem war der Guschlbauer natürlich auch ein Konkurrent auf dem Gebiet des Handels.“
Bronstein wusste nicht, worauf der Präsident hinauswollte. Wie sollte ein Greißler ein wirtschaftlicher Rivale der Roten sein? „Ich fürchte, Herr Präsident, ich kann Ihnen jetzt nicht ganz folgen.“
„Na, das ist wieder typisch“, schnaubte Schober, „die Roten sind doch nur die Schlägertruppe des Finanzjudentums. Schau’n Sie sich doch diese ganzen Politiker an, wie die heißen: Adler, Ellenbogen, Austerlitz und so weiter. Alles Juden. Und wer sitzt auf dem ganzen Geld? Auch die Juden. Der Rothschild zum Beispiel, net wahr. Und wenn die einen lästigen Konkurrenten loswerden wollen, dann schicken s’ ihm halt die Rotgardisten an den Hals. Aber ehrlich g’sagt, wundert mich nicht, dass Sie diese Zusammenhänge nicht erkennen.“
Bronsteins Unbehagen, das er seit Beginn der Unterredung mit dem Präsidenten empfunden hatte, war nun unmissverständlich bestätigt worden. Schober sah in ihm keinen Kollegen, sondern einen Juden. Einen Itzig. Unfassbar! Starb dieser dumme Antisemitismus denn nie aus? Schon in der Monarchie hatten die Deutschnationalen regelmäßig die Nase gerümpft, wenn der Kaiser ab und zu einmal einen Vertreter der jüdischen Gemeinde adelte oder in ein Amt berief. Man hatte sogar über die Berater von Franz Ferdinand gespöttelt, der sich mit ungarischen Bankiers umgeben hatte, die man hinter vorgehaltener Hand despektierlich „Judapester“ nannte. 1918 war vom Anbeginn einer neuen Zeit gesprochen worden, doch offenbar galt das nicht für blödsinnige Vorurteile. Und wenn die schon ganz oben in den Chefetagen so vorherrschend waren, was wollte man dann von den simplen Gemütern in der hintersten Provinz erwarten? Bronstein war schockiert.
„Haben Sie überhaupt schon überprüft, ob da wirklich nur ein Täter am Werk war? Vielleicht haben s’ dem Guschlbauer irgendeine Judith untergejubelt, die ihm den Kopf abschneiden sollte. Und wie das nicht funktioniert hat,sind s’ wie die Cäsarenmörder mit den Messern auf ihn losgegangen.“
Trotz seiner Empörung amüsierte diese letzte These Bronstein. Sicher, der alte Lustgreis stolperte nicht über seine abartige Geilheit, er war ein Staatsmann, der von haltlosen Elementen des politischen Extremismus an weiterem verdienstvollen Wirken gehindert werden sollte.
„Glauben S’ mir, Brrronschtejn, mich hat man seinerzeit auch gemeuchelt, wie ich Kanzler war. Und nur meine absolute Untadeligkeit verunmöglichte eine Tat wie diese. Darum bin ich auch nur politisch gefallen und nicht auch leibhaftig.“
Bronstein versuchte, den in ihm aufsteigenden Zorn zu unterdrücken. Was für eine unglaubliche Blödsinnigkeit war das denn nun? War dieser Schober wirklich ein derartiger Egozentriker, dass er alles und jedes auf sich selbst bezog? Und er, Bronstein, hatte schon gefürchtet, er hätte einen Vogeldoktor notwendig! Eine so schwachsinnige Geschichte war ihm ja in nahezu 25 Dienstjahren niemals aufgetischt worden. Am liebsten hätte er Schober reinen Wein eingeschenkt. Hören S’ einmal gut zu, Sie Herr Präsident, Sie. Sie sind von Ihren eigenen Leuten fallengelassen worden und nicht irgendwelchen jüdischen Bankiers oder roten Garden zum Opfer gefallen. Sie waren einfach nur ein Bauer im Schachspiel der Politik. Grad einmal gut genug, um die gegnerische Dame zu bedrohen, wobei natürlich jeder außer Ihnen g’wusst hat, dass das nur eine Finte ist. Na, und so sind Sie schneller geschlagen worden, als Sie ein Feld nach vor ziehen konnten. So einfach ist das, Herr Präsident. Sie sind keine historische Persönlichkeit, Sie sind eine hysterische.
Natürlich sagte er all das nicht. Niemand hätte etwas davon gehabt. Der Schober
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