Ezzes
seine Unterlagen zusammen und erhob sich. Er ging den langen Korridor entlang, der zur Haupttreppe führte, wo er kurz innehielt. Während er die einzelnen Stufen überwand, memorierteer gleichsam jenen Vortrag, den er in wenigen Augenblicken zu halten gedachte. Vor der Tür der Sekretärin des Präsidenten atmete er noch einmal tief durch, dann klopfte er an.
Schobers Mitarbeiterin hieß ihn kurz warten, während sie selbst hinter der gepolsterten Doppeltür verschwand, um den Chef von Bronsteins nunmehriger Anwesenheit zu unterrichten. Als sie sich wieder in ihrem Büro befand, sagte sie Bronstein, er möge sich etwas gedulden, der Chef sei noch beschäftigt. Bronstein unterdrückte das Bedürfnis, sich eine Zigarette anzuzünden, und betrachtete stattdessen die Stiche, die an der Wand angebracht waren. Die Sekretärin hegte offenbar eine Vorliebe für die klassische Sommerfrische, denn sämtliche Bilder stellten Orte in der näheren Umgebung Wiens dar. Die Pestsäule auf dem Hauptplatz von Baden, das kleine Schlössl in Tribuswinkel, die barocke Pfarrkirche von Gainfarn, der Karner von Mödling und, als kleiner geographischer Ausreißer, der Dom von Wiener Neustadt.
Bronstein hatte eben dessen Wetterhahn betrachtet, als die Tür hinter ihm aufging. Es war Vizepräsident Seydel, der eben das Büro des Präsidenten verließ. Seydel galt amtsintern als eher gemütlicher Mensch, der nach der Maxime handelte, wer nichts tat, der konnte auch nichts falsch machen. Offensichtlich tat er aber doch von Zeit zu Zeit etwas, denn sonst wäre sein Aufstieg nicht so konsequent verlaufen. Seydel erblickte Bronstein und legte ein joviales Lächeln auf.
„Grüß Sie, Bronstein, na, wie … das Befinden, net? Wie?“
Bronstein war schon bei früheren Gelegenheiten aufgefallen, dass Seydel mit der deutschen Sprache nicht immer im besten Einvernehmen stand. Mitunter musste man schlicht raten, was Seydel meinen könnte, und nicht wenige im Amt vertraten die Ansicht, dass Seydel damit eine überaus erfolgreiche Strategie verfolgte. Durch die pythischen Satzfragmente, die er von sich gab, war er im eigentlichen Sinne unangreifbar, weil er aufnichts festgelegt werden konnte. In diesem Fall war der Sinn der Seydel’schen Äußerung allerdings leicht zu entschlüsseln. „Danke, Herr Vizepräsident, es steht alles zum Besten.“
„Fein“, nickte Seydel, „fein. Das ist doch … die Hauptsache, net wahr. Immer weiter so.“ Bronstein hatte erwartet, dass Seydel sich nach dem aktuellen Fall erkundigen würde, doch der hatte sich schon in Richtung der Sekretärin verneigt und war dann auf den Gang entschwunden, ohne noch ein weiteres Wort verlauten zu lassen. Es war stattdessen die Sekretärin, die zu sprechen anhob. „Sie können jetzt reingehen“, beschied sie Bronstein. Der klopfte sicherheitshalber, wartete auf das sonore „Herein“ und betrat dann den Thronsaal des Präsidiums.
„Mein lieber Herr Brrronschtein“, schnarrte Schober, den Namen des Oberstleutnants auf merkwürdige Art falsch betonend, was Bronstein sofort alarmierte. Zumal das „lieber“ in krassem Gegensatz zum Tonfall des Präsidenten stand. Und Bronsteins Befürchtung wurde umgehend bestätigt.
„Sie machen mir Spaß. Sie san ja ein wahrer Pyrrhus. Noch so ein Sieg wie der Fall Guschlbauer, und wir sind verloren.“
„Herr Präsident, wir sind auf einem guten Weg, wir …“
„Papperlapapp, gar nix simma. Ich weiß doch genau, dass da nix weitergeht. Sie wandern da herum wie der Moses mit seine Israeliten. Aber das sag ich Ihnen gleich, vierzig Jahre hamma net Zeit, gelt! Und wenn das so weitergeht, dann regnet’s auch kein Manna vom Himmel, sondern faustdicke Beschwerden vom Ministerium, da können S’ wetten drauf.“
„Herr Präsident, ich bin zuversichtlich, dass wir …“
„Aber hören S’ mir doch auf“, schnitt Schober seinem Untergebenen zum zweiten Mal mitten im Satz das Wort ab, „auf die Art lösen S’ den Fall nie, und wenn S’ noch so ein Masslscheiber san für gewöhnlich.“
Das waren ganz neue Töne. Schober verwendete niemals ein derartiges Vokabular. Das waren Anspielungen, die nur ihmganz persönlich gelten konnten. Bronstein begann zu ahnen, worauf der Präsident da anspielte, aber sein Verstand weigerte sich, diesen Gedanken als richtig zu akzeptieren. Er nahm all seinen Mut zusammen und startete einen neuen Versuch, Schober Bericht zu erstatten.
„Wie in solchen Fällen absolut üblich, Herr Präsident, haben
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