Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
Vom Netzwerk:
bebend zu euch. Meine Botschaft und Verkündigung war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stützte, sondern auf die Kraft des Herrn.
    Wort des lebendigen Gottes. Wacklig geht Martha zurück zu ihrem Platz. Meine Gemeinde steht auf, es wird gesungen: Halleluja, halleluja, halleluja, halleluja. Die Sonne blendet nicht mehr, man erkennt die klobigen Bilder im Buntglas: Lamm, starrender Heiland und Brotscheibe im Strahlenkreuz. Diese Kirche ist so alt wie ich, die Wände absichtsvoll schief, der Altar ein unbehauener Granitblock, der aus irgendeinem Grund nicht im Osten steht, sondern auf der Westseite, sodass die Sonne beim Frühgottesdienst nicht, wie es sich gehört, die Gemeinde blendet, sondern mich.
    Das Evangelium. In jener Zeit, als Jesus und seine Jünger auf ihrem Weg nach Jerusalem weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Meine Stimme klingt nicht schlecht; ich bin gut in meinem Beruf. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes. Ich schlage das Buch zu. Wie passend, aber es ist Zufall, die vorgeschriebene Stelle für den 8. August 2008.
    Und jetzt das Bekenntnis des Glaubens. Ich räuspere mich und trage vor, was ich gerne glauben würde: Gott, der Allmächtige, Jesus, sein Sohn, gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage auferstanden, aufgefahren in den Himmel, von wo er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Der Heilige Geist, die Auferstehung, die Gemeinschaft der Heiligen und das ewige Leben. Ja, es wäre schön.
    Die Fürbitten. Wir bitten für die Dominikaner, damit sie mit Eifer Gottes Werk tun, denn heute ist der Tag des heiligen Dominik. Wir bitten dich, erhöre uns. Wir bitten für die suchenden Menschen, erhöre uns, für alle, die krank sind, bitten wir und für alle, die abgekommen sind von der Sicherheit des Glaubens. Im Seminar für Liturgiekunde haben wir einst diskutiert, welchen Sinn es haben soll, ein allwissendes Wesen um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten. Pater Pfaffenbichel erklärte uns, die Fürbitte sei nicht wichtig, man könne sie auch weglassen. Aber er kannte meine Gemeinde nicht. Zwei Wochen ohne Fürbitten letztes Jahr, und schon dachten sie, Gott habe sie vergessen. Neun Beschwerde-Mails an mich und leider auch drei an den Bischof sowie ein offizieller Kirchenaustritt. Ich musste Frau Koppel eine Bonbonniere schicken und sie zweimal daheim besuchen, um sie umzustimmen.
    Die Eucharistie. Der Ministrant gießt Wasser über meine Finger, die Orgel stimmt ihren Hochgesang an, ich hebe das Gefäß mit den Hostien. Der Moment hat Pathos und Kraft. Fast könnte man denken, diese Menschen glauben tatsächlich, eine Oblatenscheibe werde zum Körper eines gekreuzigten Mannes. Aber natürlich glauben sie es nicht. Man kann das nicht glauben, man müsste geistesgestört sein. Aber man kann glauben, dass der Priester es glaubt, der wiederum glaubt, seine Gemeinde glaube es; man kann es mechanisch wiederholen, und man kann sich verbieten, darüber nachzudenken. Heilig, heilig, heilig, skandiere ich, und tatsächlich ist mir, als umgäbe mich ein Feld von Kraft. Magische Gesten, jahrtausendealt, älter als die christlichen Zeiten, älter als Stahl und Feuer. Die ersten Menschen haben schon von zerfleischten Göttern phantasiert. Später dann die Legende von Orpheus, zerrissen von den Geistern der Rache, die Mär von Usir, hinabgestiegen ins dunkle Reich und wieder zusammengefügt zum lebenden Körper, viel später erst die Gestalt des Nazareners. Ein alter und blutiger Traum, Tag für Tag nachgespielt an Abertausenden Orten. Es wäre so leicht, den Vorgang zum symbolischen Akt zu erklären, aber genau das ist Häresie. Man muss es glauben, so ist es vorgeschrieben. Man kann es nicht glauben. Man muss, man kann nicht. Erhebet die Herzen, sage ich. Wir

Weitere Kostenlose Bücher