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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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und jetzt –»
    «Sprich nicht weiter! Nicht am Telefon.»
    «Aber –»
    «Weißt du, wie viele Leute uns zuhören könnten?»
    «Du hast mich angerufen!»
    «Weil ich dich sehen muss.»
    «Und ich habe gesagt, komm.»
    «Aber jetzt geht es nicht.»
    «Dann komm nicht.»
    Mir ist schwindlig. Hat sie wirklich gesagt, ich soll nicht kommen? «Bist du zu Hause?»
    Sie schweigt.
    «Warum sagst du nichts?»
    Ich horche, und erst nach einer Weile begreife ich, dass sie aufgelegt hat.
    Ich muss mich setzen. Neben der Straße ist ein Sportplatz aus Asphalt, umgeben von Drahtzaun, am Rand eine Bank.
    Da sitze ich einige Zeit mit geschlossenen Augen. Ich höre den Verkehrslärm: Hupen, Motoren, einen Presslufthammer. Die Sonne brennt. Mein Herzschlag wird ruhiger.
    Als ich die Augen öffne, sitzen zwei Kinder neben mir. Ein Junge mit Schirmkappe und ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren und einer blauen Schleife. Sie ist etwa sechs Jahre alt, er ungefähr zehn.
    «Was machst du hier?», fragt er.
    «Ich sitze», sage ich. «Was machst du?»
    «Ich sitze auch.»
    Wir sehen das Mädchen an.
    «Ich auch», sagt es.
    «Wohnt ihr hier in der Gegend?», frage ich.
    «Weit weg», sagt sie. «Du?»
    «Auch sehr weit weg», sage ich.
    «Wie alt bist du?», fragt der Junge.
    «Siebenunddreißig.»
    «Das ist alt», sagt das Mädchen.
    «Ja», sage ich. «Das ist alt.»
    «Stirbst du bald?»
    «Nein.»
    «Aber irgendwann stirbst du.»
    «Nein!»
    Wir schweigen eine Weile.
    «Seid ihr zum Spielen hier?»
    «Ja, aber es ist zu heiß», sagt der Junge.
    «Man kann gar nichts machen, wenn es so heiß ist», sagt das Mädchen.
    «Hast du Kinder?», fragt er.
    «Eine Tochter. Sie ist ungefähr so alt wie du.»
    «Ist sie auch hier?»
    «In der Schule. Sie ist in der Schule. Warum seid ihr nicht in der Schule?»
    «Wir schwänzen», sagt sie.
    «Das solltet ihr nicht.»
    «Warum nicht?»
    Ich denke nach. Mir fällt beim besten Willen kein Grund ein. «Weil das doch nicht geht», sage ich zögernd. «Ihr müsst lernen.»
    «Man lernt da nicht viel», sagt sie.
    «Wenn man einen Tag nicht hingeht, versäumt man gar nichts», sagt er.
    «Also morgen geht ihr wieder hin?»
    «Vielleicht», sagt er.
    «Ja», sagt sie.
    «Vielleicht», sagt er wieder.
    «Wie heißt ihr denn?»
    Das Mädchen schüttelt den Kopf. «Wir dürfen Fremden unsere Namen nicht sagen.»
    «Ich glaube, ihr dürft mit Fremden gar nicht reden.»
    «Doch. Reden schon. Aber nicht den Namen verraten.»
    «Das ist merkwürdig», sage ich.
    «Ja», sagt er. «Das ist merkwürdig.»
    «Ist sie deine Schwester?», frage ich.
    «Er ist mein Bruder», sagt sie.
    «Geht ihr in dieselbe Schule?»
    Die beiden sehen einander fragend an. Er zuckt die Achseln.
    Ich weiß genau, dass ich es eilig habe, dass ich weitergehen sollte, dass ich zu Sibylle muss und danach zu der Konferenz. Aber statt aufzustehen, schließe ich erneut die Augen.
    «Warst du mal in einem Flugzeug?»
    «Ja, wieso?»
    «Warum kann das fliegen?»
    «Wegen der Flügel.»
    «Aber ein Flugzeug ist so schwer. Warum kann es fliegen?»
    «Der Auftrieb.»
    «Was ist das?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Aber warum fliegt es?»
    «Der Auftrieb.»
    «Was ist das?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Das weißt du nicht?»
    «Nein.»
    «Aber du warst in der Schule.»
    «Ja.»
    «Also warum fliegt es?»
    Die Dunkelheit hinter meinen Lidern ist hell vom Sonnenlicht. Leuchtendes Orange, darin gelbe Kreise, die wandern, steigen, sinken. Selbst das Geräusch des Presslufthammers kommt mir auf einmal friedlich vor.
    «Lass die drei», sagt der Junge. «Misch dich nicht ein, geh weiter.»
    «Was?» Ich blinzle in die Sonne. «Was hast du gesagt?»
    «Ich habe gesagt, wir müssen jetzt weiter.»
    Schnell stehe ich auf. «Ich auch.»
    «Josi», sagt der Junge. «Ich heiße Josi. Das ist Ella.»
    «Und wie heißt du?», fragt das Mädchen.
    «Hans.» Es rührt mich, dass sie mir ihre Namen verraten haben, aber das ist kein Grund, unvorsichtig zu sein.
    «Auf Wiedersehen, Hans!»
    Ich gehe und fühle mich so leicht, als könnte ich mich vom Boden lösen. Vielleicht liegt es an der Sonne, vielleicht am Hunger. Ich hätte die Muschelnudeln vorhin essen sollen. Um nicht ohnmächtig zu werden, bleibe ich an einer Imbissbude stehen.
    Es dauert lange, bis ich an der Reihe bin. Vor mir stehen drei Halbwüchsige und streiten sich mit dem Verkäufer. Einer trägt ein T-Shirt, auf dem MorningTower steht, auf dem des zweiten steht bubbletea is not a drink I like ,

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