F (German Edition)
unterbrechen.
Als ich zurückkam, beschrieb er gerade die Vernissage, die sein New Yorker Galerist Warsinsky zuletzt für ihn veranstaltet hatte: wer da gewesen sei, was die Kritiker geschrieben hätten, welche Bilder für wie viel verkauft worden seien. Sein Schnurrbart wippte, seine Unterlippe zitterte, und wann immer er seinen Worten Nachdruck verleihen wollte, klopfte er auf den Tisch.
Um das Thema zu wechseln, fragte ich Arthur, woran er zurzeit arbeite. Ich wusste, dass er die Frage nicht mochte, aber es war doch immer noch besser, als Heinrich zuzuhören.
«Wird wahrscheinlich wieder ein Krimi. Ein klassisches Locked Room Mystery . Für Leute, die Rätsel mögen.»
«Gibt es denn eine Auflösung?»
«Aber ja! Es wird sie nur keiner bemerken. Sie ist gut versteckt.»
«Ist das eigentlich auch in Familie so?»
«Nein. In dieser Geschichte ist die Auflösung wirklich die, dass es keine versteckte Auflösung gibt. Keine Erklärung und keinen Sinn. Genau darum geht es.»
«Aber genau das stimmt doch nicht! Oder vielmehr stimmt es nur, wenn man es so erzählt, dass es stimmt. Jedes Dasein, vom Ende her gesehen, besteht aus Schrecken. Jedes Leben wird zur Katastrophe, wenn man es auf so eine Art zusammenfasst, wie du es machst.»
«Weil das die Wahrheit ist.»
«Nicht die ganze. Nicht ausschließlich. Nachmittage wie heute, Orte wie dieser …» Mit unbestimmter Geste zeigte ich auf das Fenster, das Meer, unseren Tisch, auf ihn, auf mich, auf Heinrich. «Alles vergeht, aber das heißt noch lange nicht, dass es Glück nicht gibt. Glück ist sogar die Hauptsache. Es kommt auf die Momente an, die guten Momente. Für sie lohnt es sich.»
Arthur setzte zu einer Entgegnung an, aber Heinrich kam ihm zuvor. Er habe eine Frage. Wie dieser Unsinn denn bitte gemeint sei, dass es ihn nicht gebe? So habe es in diesem Buch gestanden. Da habe gestanden, ihn gebe es nicht! Aber es gebe ihn ja. Er sitze hier!
«Nicht zu leugnen», sagte Arthur.
Aber im Ernst, das sei doch absurd!
Heinrichs Ausbruch überraschte mich. Ich hatte nicht gewusst, dass er Mein Name sei Niemand gelesen hatte, wir hatten nie darüber gesprochen.
«Wenn es absurd ist, muss man sich ja nicht ärgern», sagte Arthur. «Ist doch nur ein Buch.»
«Ohne Ausflüchte: Wollen Sie etwa sagen, dass es mich nicht gibt?»
«Und wenn ich das sagen würde?»
«Das können Sie nicht sagen!»
Arthur sah mich an. «Muss das wirklich sein?»
«Wovon redest du?»
Mit einer kreisenden Handbewegung zeigte er, genau wie zuvor ich es getan hatte, auf das Fenster, das Meer und unseren Tisch, auf sich, auf mich, auf Heinrich.
Ein paar Sekunden schwiegen wir. Ich hörte Heinrichs pfeifenden Atem und hoffte, dass er nicht verstanden hatte.
«Ein Leben ist schnell vorbei, Iwan. Wenn man sich nicht in Acht nimmt, verliert man es an Albernheiten.»
«Du musst es ja wissen.»
«Richtig, das muss ich.»
«Verlassen Sie mein Haus!», sagte Heinrich.
«Malst du eigentlich auch seine Bilder?», fragte Arthur.
Eine lange Zeit war es still.
«Verlassen Sie mein Haus», flüsterte Heinrich dann.
Arthur lachte auf. «Das ist ja unglaublich! Du malst seine Bilder, und keiner merkt es?»
«Hinaus!» Heinrich stand auf. «Hinaus!» Seine Stimme bebte, aber wenn er es darauf anlegte, hatte sie noch Kraft und Volumen. Er zeigte auf die Tür. «Hinaus!»
Während ich meinen Vater in den Flur begleitete, suchte ich nach einem passenden Satz, nach irgendetwas, das ich sagen konnte. «Wann sehe ich dich wieder?», fragte ich schließlich.
«Bald.» Es klang nicht besonders glaubhaft. Er legte mir die Hand auf die Schulter, und im nächsten Augenblick war er verschwunden.
Ich ziehe mir den Kittel aus und wasche meine Hände. Klar und hell der Wasserstrahl, im Abfluss wirbeln Farbschleier. Ich verspüre ein wenig Traurigkeit, ein wenig Stolz, ein wenig Besorgnis auch, wie jedes Mal, wenn ein Bild fertig ist. Aber was soll schon passieren? Wo immer es um die Echtheit eines Eulenböck geht, gibt es eine Person, die das letzte Wort hat, und das ist der Vorstand des Eulenböck-Trusts, der Alleinerbe des Künstlers, also ich.
Der Name dieses Gemäldes steht schon seit Jahren in den Verzeichnissen: Urlaubsfoto Nr. 9 . Bereits Ende der neunziger Jahre habe ich es in einem Aufsatz erwähnt, und seit fünf Jahren gibt es im Archiv der Nationalgalerie ein Dossier über die Provenienz eines Gemäldes, das einen französischen Marktplatz und eine Niki-de-Saint-Phalle-Plastik zeigt.
Weitere Kostenlose Bücher