F (German Edition)
Diplomatie würde vonnöten sein.
Ein paar Wochen später sprach ich zum ersten Mal davon. Wir hatten gerade die jüngsten Werke betrachtet: ein Bauernhaus mit Heuschober, ein Bauernhaus mit mähendem Bauern, ein Bauernhaus mit knorrig aufgereihter Familie sowie Hahn, Misthaufen und Wolken.
«Nehmen wir an, dass es möglich ist, berühmt zu werden, indem man ausnahmsweise die Vorgaben erfüllt und tut, was opportun ist. Was dann? Man hätte eine Welt verspottet, die es verdient, und zugleich hätte man sich geholt, was einem gebührt. Was wäre schlecht daran?»
«Dass es einem in diesem Fall nicht gebührt.» Selbstgerecht, wie nur Verlierer es sein können, stand er vor mir. Sein schmales Gesicht, die fein gezeichnete Nase, die funkelnden Augen, die grauen Haare und die Lodenjacke mit den Silberknöpfen – alles wie geschaffen für die Magazine.
«Es wäre ein Verbrechen ohne Opfer», sagte ich. «Niemand verliert etwas.»
«Man selbst verliert etwas.»
«Aber was denn? Seine Seele?» Ich zeigte auf die Bauernhäuser. «Oder die Kunst?»
«Man verliert beides.»
Und beides gibt es nicht, wollte ich antworten, aber ich schwieg. So also geht es, dachte ich: mit Stolz. Indem man stolz ist, lässt es sich aushalten, mittelmäßig zu sein. «Und wenn man es … als Experiment sozusagen, als Versuch … Wenn man beides nicht so wichtig nimmt? Sich selbst und die Kunst?»
Wir lachten, aber wir wussten, er genau wie ich, dass ich es ernst meinte.
«Und was», fragte ich eine Woche darauf, «wenn man etwas wagen würde? Man malt ein paar Bilder, von denen man sich ausrechnen kann, dass sie den Leuten, auf die es ankommt, gefallen. Die schreibt man dann dir zu. Und später macht man öffentlich, dass es ein Scherz war.»
«Witzig wäre es schon», sagte er nachdenklich.
Ich hatte die ersten drei schon fertig. Einen Boulevard bei Malaga, verunstaltet von einer Dalí-Plastik, gemalt im fahl-naturalistischen Stil Zurbaráns, eine verregnete deutsche Fußgängerzone in der verschatteten Technik des späten Rembrandt und Tristia 3 , bis heute eines seiner bekanntesten Werke – ein unwirklich hoher Museumsraum, an dessen Wänden bedrohliche Fett- und Filzplastiken in Vitrinen ausgestellt sind, und in der Mitte, verstört und traurig, ein kleiner Junge neben einer ekstatisch strengen Kunsterzieherin: pastose Pinselstriche, dazwischen Lücken und Spalten, durch die das Weiß der Leinwand dringt.
«Heinrich Eulenböck», erklärte ich, als ich ihm die Bilder zeigte. «Ein zurückgezogener Aristokrat, ein stolzer Außenseiter, der die Kunst seiner Zeit mit Verachtung verfolgt und keine Entwicklung versäumt hat. Auf vielen Bildern, ausgeführt mit feinem Spott, findet sich irgendwo die Arbeit eines Künstlers jener Gegenwart abgebildet, die er für nichtswürdig hält. Alles hat er gesehen, alles hat er gezählt, alles hat er gewogen und am Ende für zu leicht befunden.»
«Aber ich bin kein Aristokrat. Mein Vater hatte eine kleine Fabrik in Ulm. Die habe ich verkauft, als ich zwanzig war.»
«Willst du sie selbst signieren?»
Er schwieg lange. «Wahrscheinlich kannst du auch das besser.»
Seine Unterschrift war tatsächlich nicht schwer zu imitieren. Ich setzte sie auf alle drei Bilder, dann machte ich Fotos und schickte sie zusammen mit einem Aufsatz über den eigenwilligen Außenseiter, den ich entdeckt hatte, an meinen Studienkollegen Barney Wesler, der gerade eine Gruppenausstellung in der Schirn vorbereitete: Realismus der Jahrtausendwende . Sofort wollte er sie präsentieren. Zwei Tage nach der Eröffnung erschienen zwei lange Artikel in Tageszeitungen, die die Bilder Eulenböcks ekstatisch priesen: Der eine stammte von einem namhaften Max-Ernst-Spezialisten, der andere von mir, beide sprachen wir von der größten Entdeckung des Jahres. Bald darauf tauchte in Heinrichs Atelier ein junger Mann auf, der für TEXTE ZUR KUNST schrieb. Sein Interview wurde einen Monat später unter dem Titel Art, For Me, Is A Cathedral publiziert, ergänzt um ein Foto, auf dem Heinrich unerhört adelig und herablassend aussah. Ein anderes Interview erschien im Stern . Sieben Seiten mit Fotos: Heinrich auf den Zinnen eines alten Festungsturms, an Bord einer Yacht, am Steuer eines Sportwagens, obwohl er gar nicht Auto fahren konnte, in einer Bibliothek, das Mundstück einer chinesischen Pfeife zwischen den Lippen. Seine Gemälde sah man nicht.
Nie habe ich jemanden besser eine Rolle spielen sehen. «Warhol? Ein Werbegraphiker!»
Weitere Kostenlose Bücher