Fabelheim: Roman (German Edition)
zu verziehen – es schmeckte salzig und abscheulich. »Hmmmm... köstlich.«
Eine Fee mit rabenschwarzem Haar und Hummelflügeln näherte sich der Schale. Sie ahmte Kendras Bewegungen nach, tauchte einen Finger hinein und kostete die Mischung.
In einem wirbelnden Schauer von Funken wurde die Fee fast zwei Meter groß. Der fruchtbare Geruch, der die Feenkönigin umgeben hatte, war wieder da. Die riesige Fee blinzelte erstaunt, dann glitt sie hoch in die Luft.
Die anderen Feen umlagerten die Schale. Ein Funkenregen blitzte über dem Garten, während die Feen sich eine nach der anderen verwandelten. Kendra wich zurück und beschirmte ihre Augen vor dem blendenden Feuerwerk. Binnen Sekunden war sie umringt von einer herrlichen Schar menschengroßer Feen. Einige von ihnen standen um sie herum, aber die meisten schwebten.
Die Feen waren durchweg groß und schön, mit der geschmeidigen Muskulatur professioneller Ballerinas. Sie trugen leuchtend bunte, exotische Gewänder und verströmten auch noch immer Licht, wobei das sanfte Funkeln jetzt zu einem strahlenden Leuchten geworden war. Die größte Veränderung lag jedoch in ihren Augen. An die Stelle von fröhlichem Übermut war etwas Strenges, Loderndes getreten.
Eine Fee mit glänzenden, silbernen Flügeln und kurzem, blauem Haar landete direkt vor Kendra auf dem Boden. »Du hast uns in den Krieg gerufen«, erklärte sie mit einem starken Akzent. »Wie lauten deine Anweisungen?«
Kendra schluckte. Hundert menschengroße Feen nahmen viel mehr Raum ein als hundert winzige. Sie waren immer so niedlich gewesen, jetzt waren sie fast ein bisschen beängstigend. Sie hätte diese stolzen Seraphim nicht gerne als Feindinnen.
»Könnt ihr Dale seine ursprüngliche Gestalt wiedergeben?« , fragte Kendra.
Zwei Feen beugten sich über Dale und legten ihm die Hände auf. Dann halfen sie ihm auf die Füße. Er betrachtete
Kendra mit einer Mischung aus Verwirrung und Erstaunen und klopfte seinen ganzen Körper ab, als wäre er überrascht, dass er unversehrt war. »Was geht hier vor?«, wollte er wissen. »Wo ist Stan?«
»Die Feen haben Sie geheilt«, erklärte Kendra. »Opa und die anderen stecken immer noch in Schwierigkeiten. Aber ich glaube, die Feen werden uns helfen.«
Kendra wandte sich wieder der atemberaubenden silbernen Fee zu. »Die Hexe Muriel versucht, einen Dämon namens Bahumat zu befreien.«
»Der Dämon ist bereits frei«, erwiderte die Fee. »Du brauchst uns nur deine Befehle zu geben.«
Kendra presste die Lippen zusammen. »Wir müssen ihn wieder einsperren. Und die Hexe ebenfalls. Außerdem müssen wir meine Großeltern retten und meinen Bruder, Seth, und Lena.«
Die blauhaarige Fee nickte und gab in einer melodischen Sprache Anweisungen. Einige der Feen begannen in den umliegenden Gebüschen zu stöbern und zogen Waffen heraus. Eine gelbe Fee förderte aus der Erde eines Blumenbeetes ein Kristallschwert zutage. Eine violette Fee verwandelte einen Dorn eines Rosenbuschs in einen Speer. Die silberne Fee mit dem blauen Haar verwandelte ein Schneckenhaus in einen wunderschönen Schild, und das Blütenblatt eines Stiefmütterchens wurde in ihrer Hand zu einer flammenden Axt.
»Dies ist dein Wille«, sagte die silberne Fee.
»Ja«, bekräftigte Kendra entschieden.
Die Feen erhoben sich alle zusammen in die Luft. Kendra wollt ihnen gerade nachsehen, da packte eine Hand ihren linken Arm, und eine andere ergriff ihren rechten, und sie schwebte zwischen zwei Feen – einer schlanken Albinofee mit schwarzen Augen und einer blauen, pelzigen Fee.
Kendra erkannte die Blaue als den Daunigen Quellgeist, den sie in Opas Arbeitszimmer gesehen hatte.
Die plötzliche Beschleunigung verschlug ihr den Atem. Sie bewegten sich dicht über dem Boden, streiften Gebüsche, wichen Baumstämmen aus und schwirrten an Zweigen vorbei. Kendra, die in der Nachhut flog, bestaunte das Feengeschwader vor ihr, wie es mühelos und mit so verwegener Geschwindigkeit an allen Hindernissen vorbeimanövrierte.
Der Rausch war überwältigend, und der Fahrtwind trieb ihr die Tränen in die Augen. Der See mit den Pavillons glitt unter ihr vorbei. Wenn sie so weitermachten, würden sie die Vergessene Kapelle binnen Sekunden erreichen.
Aber was war, wenn sie dort ankamen? Bahumat war angeblich unglaublich mächtig. Trotzdem gab Kendra sich gute Chancen – schließlich wurde sie von einer ganzen Legion grimmiger Feen begleitet.
Als sie sich umblickte, konnte Kendra Dale nirgends sehen.
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