Fabelheim: Roman (German Edition)
der Marionette wahrscheinlich eine Vorsichtsmaßnahme.
Trotzdem stellte Mendigo ein Problem dar. Anscheinend hatte Kendra auf der Insel keinen wirklichen Zauber gewirkt; sie hatte lediglich eine Zutat geholt. Aber wenn sie das Elixier mischte, das die Feenkönigin beschrieben hatte, und es den Feen gab, war das gewiss Magie. Sobald sie ihren Schutz verlor, würde Mendigo sich auf sie stürzen.
Das kam nicht in Frage.
Kendra stellte die Silberschale auf die Stufen, die zu dem Pavillon hinaufführten. Dann drehte sie sich um und stellte sich Mendigo. Die Marionette war mehr als einen halben Kopf größer als sie. »Ich denke, du funktionierst wie Hugo. Du hast kein Gehirn und tust nur, was man dir sagt. Ist das richtig, Mendigo?«
Die Puppe stand reglos da. Kendra versuchte, ihre Angst niederzukämpfen. »Ich glaube zwar nicht, dass du mir gehorchen wirst, aber einen Versuch ist es wert. Mendigo, steig auf einen Baum und bleib für immer dort sitzen.«
Mendigo rührte sich nicht. Kendra ging direkt auf ihn zu. Er versuchte, die Arme zu heben, um sie zu ergreifen, konnte es aber nicht. Als sie direkt vor ihm stand, streckte sie zaghaft einen Finger aus und berührte seinen hölzernen Leib. Er reagierte nicht, schien aber weiter gegen die Macht anzukämpfen, die ihn davon abhielt, sie zu packen.
»Du kannst mich nicht berühren. Ich habe nichts Böses getan und keine Magie benutzt. Aber ich kann dich berühren.« Sie strich sachte über seine beiden Arme. Mendigo zitterte, so sehr versuchte er, sie zu ergreifen.
»Willst du sehen, was ich als Nächstes tun werde?«,
fragte Kendra. Mendigo bebte, und seine Haken klirrten, aber er war immer noch nicht imstande, sie zu packen. Sie biss sich unbewusst auf die Unterlippe, ergriff seine beiden Arme direkt unter den Schultern, hakte sie aus und rannte davon. Kendra hörte, wie Mendigo ihr nachjagte, während sie zum Rand des Sees rannte und die hölzernen Arme ins Wasser warf.
Etwas schlug Kendra auf die Schulter und warf sie zu Boden. Es drückte ihr auf den Rücken und hielt sie unten. Kendra bekam kaum Luft. Sie hob den Kopf und sah, dass Mendigo sie mit einem Fuß auf den Boden gedrückt hielt. Wie konnte ein Geschöpf, das so zerbrechlich aussah, so stark sein? Die Stelle, wo er sie an der Schulter getroffen hatte, brannte heftig – sie würde bestimmt einen blauen Fleck bekommen.
Kendra griff nach seinem anderen Bein und hoffte, den Unterschenkel aushaken zu können, aber die Marionette wich ihrer Hand tänzelnd aus. Einen Augenblick lang wirkte Mendigo unentschlossen. Kendra erwartete seinen Angriff.
Wenn sie nur ein Bein aushaken könnte!
Stattdessen eilte Mendigo auf den Steg hinaus. Seine beiden Arme trieben auf dem Wasser. Einer war inzwischen fast außer Reichweite. Mendigo ging in die Hocke, balancierte vorsichtig auf einem Fuß und streckte ein Bein nach dem näheren Arm aus.
Gerade als seine Zehen das Wasser berührten, schnellte eine weiße Hand hervor, packte Mendigo am Knöchel und zog ihn mit einem Platschen in den See. Kendra hielt den Atem an und wartete. Die Marionette kam nicht wieder an die Oberfläche.
Sie rannte zurück und hob die Schale auf. Mit der Schale in der Hand konnte sie jedoch nicht mehr laufen und ging
stattdessen mit schnellen Schritten, sorgfältig darauf bedacht, nichts von ihrer kostbaren Fracht zu verschütten. Eilig ging sie zu dem Torbogen in der Hecke und dann den Pfad hinunter zurück zur Straße.
Das Licht der Sterne am östlichen Himmel war noch schwächer geworden. Kendra eilte die Straße entlang. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie nicht länger unter dem vollen Schutz der Gründungsverträge stand. Aber auch wenn sie Unheil angerichtet hatte, es hatte sich zumindest gelohnt. Sie hatte jedoch das Gefühl, dass es nicht das letzte Unheil bleiben würde, das sie in dieser Nacht stiftete.
KAPITEL 18
Bahumat
A ls Kendra die Scheune erreichte, beherrschte ein frühmorgendliches Grau den östlichen Horizont. Ihr Marsch vom See hierher war ereignislos verlaufen, und sie hatte keinen Tropfen aus der Silberschale verschüttet. Jetzt ging sie zu der kleinen Tür, die Seth aufgetreten hatte, und schlüpfte in die Scheune.
Die Riesenkuh kaute Heu. Wann immer Kendra Viola sah, staunte sie von neuem über deren gigantische Ausmaße. Das Euter der Kuh war aufgebläht, fast so schlimm wie beim ersten Mal, als sie sie gemolken hatten.
Kendra hatte die Tränen, jetzt brauchte sie noch Milch und Blut. Da die Feenkönigin
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