Facetten der Lust
Freundin.
»Ruf mich an.«
»Das mache ich.«
Chloe lehnte sich grinsend an die Wand und entlastete ihre verspannten Schultermuskeln, als Shirley die Tür hinter sich schloss. Sie war äußerst zufrieden mit sich.
»Genieß das Leben, Shirley. Du hast es verdient«, plapperte Chloe vor sich hin und humpelte zurück zum Sofa, um sich einem
Sex and the City
-Marathon hinzugeben.
Es dauerte nicht lange, und Shirley genoss den Fahrtwind in ihrem Haar. Chloes schwarzer Roadster flog nur so über den Highway Richtung Santa Monica.
Seit sie Los Angeles hinter sich gelassen hatte, fiel der Alltag von ihr ab. Der schicke Wagen, der strahlend blaue Himmel und die Wärme der Sonne vermittelten ihr das Gefühl von Freiheit. Konnte das Leben wirklich so schön sein?
Shirley traute dem Ganzen nicht. Ihrer Erfahrung nach würde sie für ein bisschen Glück einen hohen Preis zahlen. Wie sehr hatte sie sich damals über das Stipendium für das
Southern California Institute of Architecture
gefreut? Ein Jahr lang hatte sie sich der Illusion hingeben können, eine intelligente und fröhliche Frau zu sein. Mit dem Krebsleiden ihrer Mutter hatte sich dieser Traum in Luft aufgelöst. Die Krankheit war lang und qualvoll gewesen.
Shirley hatte das Studium abgebrochen, um die Arztrechnungen bezahlen zu können. Trotz ihrer harten Arbeit war der Schuldenberg größer und größer geworden. Noch heute ging das meiste ihres Monatsgehaltes für diese Rechnungen drauf.
Shirleys Herz raste wie verrückt, als Santa Monica vor ihr auftauchte. Nicht nur, weil sie dem Institute und ihren verlorenen Träumen immer näher kam, sondern ihr bei der ganzen Sache nicht wohl war.
Mehr zu scheinen, als sie war, entsprach nicht ihrem Wesen. Sie hatte Angst, sich in dem Nobelhotel wie ein Trampel zu benehmen. Man würde ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie dort nicht hingehörte. Schon ihre einfache Jeans und das Sommertop sprachen Bände. Sie sah die gerümpften Nasen und pikierten Blicke des Personals vor sich und schämte sich bereits, obwohl sie noch gar nicht angekommen war.
Shirley holte tief Luft, als das Sheraton Delfina Hotel vor ihr auftauchte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und konzentrierte sich.
Als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anderes getan, blieb sie vor dem Eingang stehen, ließ sich von einem Pagen die Wagentür öffnen und reichte ihm die Hand, damit er ihr beim Aussteigen half.
»Willkommen im Sheraton Delfina, Miss.« Sein Lächeln war offen und nicht abfällig.
Shirley klimperte mit den Augen, ganz so, wie es Chloes Art war, und lächelte. Belustigt nahm sie das verkrampfte Schlucken des Jungen wahr und sonnte sich in seinem begehrlichen Blick. Eigentlich war es gar nicht schlecht, Chloe Westwood zu sein.
Hoch erhobenen Hauptes ging Shirley durch die beeindruckende Hotellobby. Der ältere Herr an der Rezeption sah ihr freundlich entgegen.
Sie fasste sich ein Herz und sagte klar und deutlich: »Guten Tag. Mein Name ist Chloe Westwood. Ich habe für die nächsten zwei Tage eine Suite gebucht.« Entschlossen legte sie die Buchungsbestätigung auf den Tresen.
Der Rezeptionist überprüfte die Daten, bestätigte Chloes Buchung für ein All-inclusive-Wochenende und reichte ihr einen Schlüssel.
»Willkommen, Ms. Westwood. Ich bin Albert Bellami. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.«
Während er sprach, nickte er jemandem zu, der hinter Shirley stand.
»Andy wird Sie auf Ihr Zimmer geleiten. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«
Shirley lächelte freundlich, zu mehr war sie nicht fähig. In ihr schrie eine Stimme: Ich bin nicht Chloe, sondern eine Hochstaplerin. Ich habe weder Geld noch einen guten Namen.
Äußerlich ruhig folgte sie Andy, der ihre Reisetasche trug, zu den Aufzügen. Ansehen konnte sie den Pagen nicht, und es fiel ihr zunehmend schwer, ihre Tasche nicht an sich zu reißen und zu sagen:
Ich finde mein Zimmer selbst
.
Diese Scharade würde sie eine Menge Kraft kosten. So viel zu der geplanten Entspannung.
Andy hielt ihr die Tür auf, brachte ihr Gepäck in die Suite und blieb grinsend vor ihr stehen. »Haben Sie noch einen Wunsch, Ms. Westwood?«
»Nein, danke. Es ist wunderbar«, brach es begeistert aus ihr heraus.
Nach einem kurzen Herumdrucksen verabschiedete sich Andy und ließ sie endlich alleine. Er hatte das Zimmer gerade verlassen, da begriff sie sein Zögern. Es war üblich, dem Pagen ein Trinkgeld zu geben.
»Oh Gott, der arme Andy«, brabbelte
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