Facetten der Lust
sie vor sich hin und kramte nach dem Portemonnaie. Aber wie viel gab man üblicherweise? Sie selbst war froh, wenn die Gäste im Diner die Summe aufrundeten. Schnell nahm sie einen Fünf-Dollar-Schein und rannte ihm nach.
»Andy? Andy, bitte warten Sie.«
Shirley hörte, wie sich die Türen des Aufzugs schlossen.
»Mist!«
Verlegen stopfte sie den Schein in ihre Hosentasche und tapste zum Zimmer zurück. Seufzend lehnte sie sich gegen die Tür und holte tief Luft.
Verhaltensregel Nummer eins: Immer Trinkgeld geben!
Wie Alice im Wunderland sah sie sich um. Die riesigen Panoramafenster gaben einen atemberaubenden Blick auf den Pazifik preis. Davor stand eine lederne Sitzgruppe mit einem Glastisch. Das Probesitzen ergab, dass das Sofa äußerst bequem war.
Zu ihrer Rechten befanden sich eine Bar und ein Sekretär. Um sich zu vergewissern, dass alles echt war, streichelte sie behutsam die Oberflächen der Möbel.
Sie hatte noch nie ein so schönes Zimmer gesehen. Mit einem breiten Grinsen öffnete sie die Schiebetür zur Terrasse. Eine frische Brise wehte ihr entgegen, zerzauste ihr Haar und brachte den Geruch des Meeres zu ihr. Für ein paar Minuten versank sie in der Unendlichkeit des Ozeans. Genießerisch seufzend riss sie sich von dem Anblick los und drehte sich um. Das Wochenende mit Träumereien zu verschwenden wäre ein Frevel.
Zwei Türen gingen vom Wohnbereich ab. Das Badezimmer war ein Traum, und sie stieß einen freudigen Aufschrei aus. Selbst wenn sie sich nicht aus dem Zimmer trauen würde, konnte sie in diesem Badetempel ein Wellnesswochenende verbringen.
Ein weiterer spitzer Schrei entfuhr ihr, als sie die Schlafzimmertür öffnete. In der Mitte des Raumes stand ein Kingsizebett.
Shirley nahm Anlauf und sprang aufs Bett, sodass die Matratze nur so quietschte. Voller Übermut boxte und strampelte sie in die Luft und lachte.
Vielleicht war Chloes Hartnäckigkeit doch nicht die schlechteste Idee gewesen. Sie fühlte sich in diesem Paradies sauwohl.
Zuerst würde sie die Sachen in dem überdimensionierten Ankleidezimmer verstauen und dann das Hotel erkunden. Außerdem musste sie im Spa die Termine für die gebuchten Massagen durchsprechen.
Plötzlich hatte sie ein Hochgefühl wie tanzende Schmetterlinge im Bauch. Sie sprang vom Bett und zog die rote Reisetasche hinter sich her.
Doch als Shirley sie auspacken wollte, stockte ihr der Atem. Entgeistert starrte sie die Klamotten an und erinnerte sich an Chloes verstohlenes Lächeln.
»Du Biest!«, schimpfte sie vor sich hin.
Chloe hatte rein gar nichts für ein entspanntes Wochenende eingepackt, sondern für Clubbesuche und Männerfang. Als Shirley die Zehn-Zentimeter-High-Heels auspackte, stöhnte sie gequält. Nie und nimmer würde sie in diesen Schuhen laufen können. Auch die Kleider und Dessous waren nicht nach Shirleys Geschmack. Sie waren viel zu aufreizend und elegant. Shirley fand keine einzige Hose oder bequemes Schuhwerk.
Das Telefon ihrer Freundin klingelte fünf Mal, bevor sie abnahm.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, griff Shirley sie gleich an.
»Dass du dich abends in Schale wirfst und die Männer bezirzt.«
Chloe lachte, und die diebische Freude in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Männer in einem Wellnessparadies? Dass ich nicht lache. Du bist unmöglich. Außerdem weißt du genau, dass ich auf High Heels nicht laufen kann. Warum tust du mir das an?«
Rein zufällig wusste Chloe, dass an den nächsten vier Tagen ein Wirtschaftskongress in Santa Monica stattfand. Es war schwierig genug gewesen, ein Zimmer für diese Zeit zu bekommen. Dass sie sich jetzt nicht selbst flirtend unters Volk mischen konnte, bereute sie am meisten. Dieses Wochenende hatte zu ihren Zukunftsplänen gehört.
Chloe hatte sich vorgenommen, noch in diesem Jahr einen reichen Mann zu finden und zu heiraten. Nur des Kongresses wegen hatte sie die Reise auf dieses Datum gelegt. Nun hing sie in ihrer Wohnung fest und Shirley maulte rum. Chloe wurde zunehmend ungehaltener.
»Stell dich nicht so an, Shirley. Wenn du jemanden blamierst, dann mich. Du bist jetzt Chloe Westwood. Mit deinem Aussehen werden dir die Männer schmachtend und die Frauen neidisch hinterher sehen. Und jede Frau kann auf High Heels laufen, das liegt uns im Blut. Dein Gejammer geht mir langsam auf den Geist. Wie ist das Zimmer?«
»Wundervoll!«
»Na endlich mal etwas, an dem du nichts auszusetzen hast. Manchmal ist mir ein Rätsel, warum wir seit zwanzig Jahren befreundet
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