Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
Vom Netzwerk:
nicht aus Haß, sondern weil ich wirklich für sie zu existieren aufgehört hatte, mich endgültig in ihrer fernen Vergangenheit verlor, in den alten, unangenehmen, traurigen Dingen, die ganz allmählich verblassen und sich des Sinns entledigen, den ihnen das Leiden gegeben hatte: ich begegnete ihr noch zwei- oder dreimal auf den Fluren der Bank, sie grüßte mich nicht, ich grüßte sie nicht, ich rief sie an, und sie legte sofort den Hörer auf, und gleich nach der Revolution, von Inês’ Familie mitgeschwemmt, meine überstürzte Reise nach Brasilien, und als er fünf Jahre später zurückkam, versuchte er sie aufzusuchen, und in der Personalabteilung informierten sie ihn, daß die Soundso nicht mehr in der Bank arbeitete, ihre Wohnung hatte ein hilfsbereiter und gutwilliger Agronomieingenieur gekauft, der jedoch die Adresse der Vorbesitzerin nicht kannte, er wagte nicht, in die Abteilung zu gehen und eine von Ildas Freundinnen anzusprechen, wenn überhaupt noch ein oder zwei davon da waren, die ihm helfen konnten, und so hat er weder sie je wiedergesehen noch etwas über den Sohn oder die Tochter erfahren, die sie im Bauch trug, ob das Kind geboren
wurde oder nicht, ob es mir ähnlich sah, und es vergeht keine Woche, in der ich nicht von einem Kind mit einem Schnuller träume, das mich anklagt, Ich hätte dich nie für so ordinär gehalten, ich hätte nie gedacht, daß du so mies sein könntest. Herr Hauptmann, Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn man ein Kind hat und dessen Gesicht nicht kennt.
    – Dreizehn Jahre, verdammt noch mal, wisperte der Oberstleutnant allein, während er das Glas liebkoste, wer würde nicht so ein Mädchen nageln wollen?
    Die Europameisterin befreite sich endlich von der Unterhose, schleuderte sie mit einer ausladenden Geste zu unserem Tisch, die Haut ihrer Brüste glänzte, die üppigen Flanken wogten, die Hinterbacken zitterten. Der Leutnant senkte den Blick, milderte einen Rülpser ab, lächelte verschämt in die Runde und entschuldigte sich:
    – Ziemlich schwierig, so einen Scheiß zu ertragen, findet ihr nicht?

Zweiter Teil
Die Revolution

1
    Odetes Schreie und die steinigen, asthmatischen Rülpser des Onkels weckten ihn mit der gleichen unmittelbaren, plötzlich ängstlichen Wachsamkeit, mit der er früher im Busch beim ersten winzigen ungewöhnlichen Geräusch, beim ersten gezischelten Befehl, beim ersten Schuß aufgewacht war. Er glitt schnell auf den Fußboden, verschwitzt in die Bettücher verheddert, tastete um sich herum auf der Suche nach der Waffe, die Straßenlaterne beleuchtete von vorn das Haus und ein Stück des Kabuffs (den Kleiderschrank, den Waschtisch mit dem Spiegel, die heilige Philomena von Dona Isaura an der Wand), auf den Dächern wuchs algengleich die klebrige Eiweißhelligkeit des Sonnenaufgangs. Aus dem Wohnzimmer ertönten Militärmärsche, Gitarren, Männerstimmen, die sangen, ein Sprecher las hin und wieder eine kleine Rede, und nach einer kurzen, unendlichen Stille, während der das Blut wartend in den Adern stockte, mehr Märsche, mehr Hymnen, mehr Chöre, mehr Musik. Er setzte sich auf den Fußboden, machte die Lampe im Zimmer an, und am Ende der Schlafanzughosen erschienen seine Zehen, ausgestreckt und bleich wie die der Toten. Die Feuchtigkeitsflecken des vorangegangenen Winters schimmelten an der Decke, die Kiste voller Cowboyhefte, die als Nachttisch diente, riet dem Soldaten zu einer Weinmarke; es gab keine Bäume, keine Büsche, kein hohes Gras, keine Schwarzen in Kampfanzügen, die tschechoslowakische Gewehre in der Faust hielten und ihn plötzlich mit dem Erdbeerkompott ihrer Augen anstarrten: nur Odete und den Onkel, die im Wohnzimmer redeten oder sich begeisterten oder stritten, das ungewohnte Sprudeln des Radios, das ungeheure Keuchen der Alten im Ehebett, die ihre lebendige Hälfte mit den unkoordinierten Spasmen eines Krebses bewegte.

    Er machte die Hände, den Nacken, das Gesicht naß (ein Kerl lief, vom Echo seiner Schritte auf dem Teerbelag verfolgt, am Fenster vorbei zur Gomes Freire), trocknete sich schniefend an der Bettdecke ab, zog einen der Pantoffeln an, hielt den anderen Fußknöchel unschlüssig in der Luft, Leg ich mich wieder hin, stehe ich auf, gehe ich hin und gucke nach, was da los ist, das Radio der Nachbarn von oben sendete dieselbe Rede, dieselben Lieder, dieselben Hymnen, Leute riefen von Balkon zu Balkon, er schaute auf die Uhr, Sechs Uhr morgens und so ein Aufstand, was ist das wohl, verließ

Weitere Kostenlose Bücher