Fado Alexandrino
klaffenden Lippen meines Körpers ähnelte, als mein Stiefvater mich hatte, und ein paar violette, ein paar klebrige dunkle Flecken sabberte, und ich fragte mich, ob meine blinde Schwester dies auch sehen würde, dies auch wissen würde, ob im Heim in Viseu inmitten der anderen, alle in gestreiften Kitteln und Stoffschuhen, ihr stummer Schrei die weißen Kacheln an der Wand zerspringen ließ, ihr Atem allein die Fensterscheiben beschlagen würde, ob sie seit der Zeit der Wespen und der Weinberge und der Schatten der kleinen Stadt dasselbe wußte und es wie ich verbarg, weil man sie, wenn sie es jemandem erzählen würde, in ein Krankenhaus in Coimbra bringen würde, das von einem Gitterzaun umgeben war und in dem es Krankenschwestern und Eimer mit Essen wie das von Schweinen gab und sonntags einen Priester, ein Krankenhaus voller schmaler Silhouetten und voll Weinen, voll Typen mit dichten Augenlidern, die auf dem Boden hockten und mit einem Stöckchen parallele Linien in die Erde zogen, ob meine Schwester es wußte, ob meine Mutter es wußte, ob die anderen Frauen es wußten, weil der Verstand der Frauen auf krummen Wegen und durch die Zukunft hindurch arbeitet und der der Männer geradeaus und so nutzlos und an der Gegenwart klebend wie eine getrocknete Olive, nur fähig, zu addieren und zu subtrahieren und Ernten und die Preise von Möbeln zu berechnen und zu dem Wunsch zu kopulieren und zur Verzweiflung, und vielleicht wissen sie alle dasselbe wie ich und haben Angst, es den anderen zu gestehen, weil sie nicht wissen, ob sie es wissen, und sich vor Ungläubigkeit und Spott fürchten, oder weil die Männer uns zu ihrer Erleichterung und ihrem Schutz so gemacht haben und uns gegeneinander aufhetzen wie die Ziegen in den verschiedenen
Gattern, die den Schiefer des Erdbodens mit der hornigen, mageren Beharrlichkeit ihrer Hufe schaben.
Und eines Morgens im Januar verabschiedeten die gnädige Frau und ich uns vom jungen Herrn, der mit Hunderten anderer uniformierter Männer mit Gesichtern, die leeren Särgen glichen, in einem Truppenschiff nach Afrika abfuhr, ein dickes, weißes Schiff mit drei Schornsteinen, das im stehenden, öligen Winterwasser tutete und rauchte. Es waren viele Menschen auf dem Kai und Regen und Kälte und Militärmärsche, Menschen, die weinten, Taschentücher, Zigarettenkippen, Papier, Krümel, kleinteiliger Müll, Spuckekreise auf dem Zementfußboden, der Lärm von Trommeln, Leute, die von sehr weit her gekommen sein mußten, um den von Wolken und Möwen dichten Horizont zu erleben, in dem das Schiff sich langsam entfernte. Die gnädige Frau zog das Taschentuch aus der Handtasche und rief mich unter ihren roten Schirm, die Menschen näherten sich schreiend dem Rand des Kais, vermischten sich mit den Möwen und der Musik und den Wolken, und die gnädige Frau sagte leise zu niemandem, Gebe Gott, daß ihm nichts passiert, und ich begriff, daß sie zumindest nicht wußte, was ich wußte, nämlich daß ihm nichts geschehen würde, daß er zwei Jahre später zurückkehren, so gesund zurückkehren würde, wie mein Vater täglich aus dem Wald zurückkam, bis das Messer ihm hier in Lissabon begegnen würde, er sorglos war und das alles vergessen hatte, so betrunken und dreckig und durcheinander und von Erbrochenem und Spucke befleckt und triefäugig, als würde er auf einem Pferdewagen an einem Hang im Weinberg durch den Nachmittag fahren, in Erwartung der jähen Begegnung mit einer Kugel, um dann rücklings auf die Ladung Holz zu fallen, wortlos, wie ein auf dem Fußboden zerschellter Heiliger aus Gips.
Er kam nur etwas glatzköpfiger und dünner aus dem Krieg zurück, und als die gnädige Frau mich rief und ich mit dem Bügeleisen aus dem Bügelzimmer kam und ihn sah, spürte ich wieder diese eigenartige Abwesenheit von Haß, die ich immer, von Anfang
an hatte, er weckte in mir dieses Gefühl oder diese Zärtlichkeit, die meine Knochen und die Stimme weich werden ließ, und als ich mich ihm näherte, wußte ich von seinem schmerzlichen und schwierigen und nahen Tod, der viel schmerzlicher und schwieriger sein würde als der Tod der gnädigen Frau oder der Hündin, und daher dachte ich, Ich muß vor ihm sterben, ich muß etwas erfinden, um dem Leid zu entgehen, ihn in einem Sarg zu wissen, von den Ärzten auf ihren Steintischen wieder zusammengenäht, nach Dung und nach Oliven und nach fauligen Schafseingeweiden riechend. Und dann starb die Hündin in der Küche langsam vor sich hin, sah uns einen
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