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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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den Ausdruck in den Augen sanfter werden läßt. Ich hoffe, daß sie mir die Handgelenke mit einer Schleife zusammenbinden und mir das Kinn mit einem Taschentuch festmachen und mir zwei alte, große, beinahe grüne Kupfermünzen schwer auf die Augenlider legen werden, und ich half der gnädigen Frau, ihm die spitzen Lackschuhe zu putzen, ihm die Strümpfe anzuziehen, ihm die
Krawatte zuzuziehen, eine Kerze mit falschen Tränen aus Plastik an jede Ecke des Bettes zu stellen, wobei ich vor meinem Gesicht in den Spiegeln und meiner Gestalt floh, die mich auf den polierten Oberflächen, vom gewölbten Lack des Holzes verzerrt, verfolgte, aus der anderen entwich, aus der, die nicht ich bin und die meine Gesten wiederholt und meine Kleidung nachmacht und soviel Angst vor mir hat wie ich vor ihr, und dann deckte ich im Eßzimmer den Tisch, stellte das kalte Huhn und die Kuchen und den Wein und den Käse und die Butter für die Freunde des Toten neben die Tellerstöße und zig Gläser, für die, die kommen würden, um die gnädige Frau zu begrüßen und in den Ecken zu rauchen, für die Frauen, die um die Leiche herum mit lauter Stimme beten, für die jungen Männer, die im kleinen hinteren Salon lachen und miteinander flüstern und wieder lachen, und wie eigenartig hat sich die Wohnung verändert, dachte ich, wie die Ölgemälde und die Möbel und die Fotos eine steife, aufgesetzte unerwartete Feierlichkeit bekommen haben, wie das Blau des Himmels ein anderes Blau ist, förmlicher und ferner, wie das Vibrieren der Töne mir in den Armen weh tut, im Busch der feinen Schläuche, in denen das Blut fließt, ich schließe die Augen und sehe die verzweifelten Bemühungen des Verstorbenen, in meine Schenkel ohne Spalte einzudringen, ich schließe die Augen, und mein Vater fällt vom Kutschbock zurück auf die Ladung Holz, während der Esel weiter durch den engen Weg nach Hause trottet, von fern verfolgt vom Echo des Knalls und vom Gebell der Hunde.
    Ein paar Tage nach der Beerdigung, als alles allmählich beim alten war, stritt die Köchin mit der gnädigen Frau und kündigte, bekam ihr Gehalt, und ich blieb, nicht etwa weil ich sie mochte, sondern weil ich wirklich nichts hatte, wohin ich hätte gehen können, es sei denn die kleine Stadt, deren Straßen sich in meinem Kopf bereits verwirrten und deren Gerüche und Verstecke und Schatten ich langsam vergessen hatte, die kleine Stadt am Ende der Eisenbahnlinie, von der ich auch nicht wußte, welche es war, am Ende von Bahnstationen, Göpelwerken, Landgütern,
von offenen Feldern, die ich nicht kannte, die kleine Stadt, die mich bestimmt nicht wiedererkennen würde und die ich bestimmt nicht wiedererkennen würde, da sich die Dinge in unserer Abwesenheit verändern, verfaulen wie die Wünsche und Gefühle und der Wille der Menschen. Sie würden dort bestimmt hier und da Gebäude wie dieses hier gebaut und Boulevards und Parks und grauenhaft reglose Statuen aufgestellt und den Markt und den Zedern vom Friedhof und den Flüssen und den Bäumen den Garaus gemacht haben, so daß es nichts mehr zu hassen gab außer uns selbst, so daß der Haß sich zitternd zum eigenen Körper heruntersenkte wie der Stachel eines Insekts und uns nichts anderes übrigblieb, als uns an einem Strick am Eukalyptusbaum neben dem Brunnen aufzuhängen, dem, der die Fliesen im Haus mit der schwefligen Energie seiner Wurzeln hochhob, und mit den Schuhsohlen die erstaunten Gesichter der Lebenden streifen, derjenigen, die noch nicht gemerkt hatten, wie sehr sie sich selber hassen, weil es nichts mehr zu hassen gibt, einen Vater, eine Mutter, eine Handvoll Tanten, eine blinde Schwester, die den Käfern und den Wespen lauscht, der Neigung der Schatten und dem Farbton der Gerüche entsprechend lächelt oder weint, nicht einmal einen entfernten Verwandten, nicht einmal einen Hund, nicht einmal die Truhe mit der Aussteuer und ihren Geruch nach Stärke, nicht einmal mehr ein Gewehr hinter der Tür, nicht einmal mehr einen mageren Mann in Unterhosen, der im Schlamm des Baches auf uns zukommt, nichts mehr zu hassen, überhaupt nichts mehr, absolut nichts mehr, nicht einmal die Leere, die sich in uns aufbläht und dabei hohle Wolken auftürmt, wie der Regen im Gebirge, dem die kurzen, jäh phosphoreszierenden Striche der Blitze vorangehen.
    Und so blieben nach der Beerdigung und nach dem Weggang der Köchin um sechs Uhr morgens, damit sie den Bus in ihr Dorf nicht verpaßte oder in das, was einst ihr Dorf gewesen war und

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