Fächergrün
Motiv?«
3
»Mord«, fragte Staatsanwalt Conradi, »Doppelmord?«, als ihn Lindt in seinem Büro aufsuchte und von den Ergebnissen der Rechtsmedizin und des Labors unterrichtete. »Halten Sie das für denkbar?«
»Im Moment müssen wir alles in Betracht ziehen. Selbstmord, Totschlag, Mord, die ganze Palette eben. Wellmann und Sternberg sind schon wieder vor Ort und schauen, was sie finden. Für die Öffentlichkeit haben wir allerdings noch nichts.«
»Also warten wir erst mal mit einer Pressemitteilung. Bin gespannt, wann die Journalisten Wind von der Sache bekommen und hier mein Telefon heißlaufen lassen.«
»Ich habe unsere Pressestelle angewiesen, vorerst alles zu blocken. Aber wie wäre es mit einem Ortstermin?«
Tilmann Conradi zögerte. »So, wie Sie mir die Situation geschildert haben, ist das kein schöner Anblick.«
Lindt lächelte: »Keine Sorge, alles bereits gereinigt.«
Der Hauptkommissar parkte seinen weinroten französischen Dienstwagen genau dort, wo er viele Jahre lang täglich geparkt hatte. Als Conradi ausgestiegen war, zeigte er am Haus nach oben. »Fast 20 Jahre lang ist das unser Zuhause gewesen.«
Der Staatsanwalt betrachtete den Sandsteinsockel, die Tür- und Fenstereinfassungen aus demselben Material und die rötlich gestrichene Fassade des fünfstöckigen Gründerzeit-Baus.
»Zweiter Stock links, war eine schöne große Altbauwohnung. Hohe Räume, wirklich angenehm, aber als unsere Töchter ausgeflogen sind, einfach zu viel für Carla und mich.«
»Mir gefällt die Waldstadt eigentlich besser«, meinte Conradi. »Längst nicht so stickig im Sommer.«
»Immer zwei Grad kühler«, stimmte Lindt zu, »deswegen sind wir damals auch in Ihre Nachbarschaft gezogen.«
Sie überquerten die Straße und öffneten eine Tür im hohen, halbrunden grünen Holztor, das den Durchlass zum Innenhof des Maiwald-Anwesens komplett vor neugierigen Blicken abschottete.
Über einige Sandsteinstufen gelangten sie ins Treppenhaus und dann in die Hochparterre-Wohnung der Brüder. Paul Wellmanns und Jan Sternbergs Stimmen drangen gedämpft durch die Tür, auf der ein poliertes Messingschild mit der Aufschrift ›Büro‹ prangte.
Schwere Eichenholzmöbel prägten den Raum. Zwei massive Schreibtische standen sich gegenüber, vor den Wänden matt verglaste Aktenschränke im selben Stil.
»Nüchtern und sachlich, aber solide gemacht für Zeit und Ewigkeit«, stellte Conradi fest.
»Wenn ich da an unsere Büroeinrichtungen denke«, pflichtete Lindt ihm bei. »Hier drin findet sich garantiert kein Stück Pressspan. Es ist alles noch genauso wie damals, als Carla und ich unseren Mietvertrag unterschrieben haben.«
»Fällt dir was auf, Oskar?«, fragte Paul Wellmann, der in einem mit grünem Leder gepolsterten hölzernen Schreibtischstuhl saß und sich mit Bergen von Aktenordnern nahezu eingemauert hatte. »Nirgends ein Computer zu sehen. Trotzdem alles perfekt durchorganisiert.«
»Kenn ich noch«, antwortete Lindt. »Es gab an jedem Platz eine Rechenmaschine und eine mechanische Olympia auf dem Schreibmaschinentisch.«
Jan Sternberg hielt einen Ordner in die Höhe. Mit sauberen Blockbuchstaben in Tinte war der Rücken mit Straßennamen, Hausnummer und zwei Jahreszahlen beschriftet.
»Für jedes Haus – alles drin – Fotos, Grundrisse, Renovierungspläne, Mietverträge, Rechnungen, Beschwerdebriefe – perfekt!«
Der Kommissar öffnete eine Glastür, fand die Aufschrift ›Lachnerstraße 1970–1980‹ und legte den Ringordner auf den Tisch. Er blätterte durch das Register ›II/links‹. »Tatsächlich, komplett, fein säuberlich abgelegt. Ich hab den alten Vertrag schon längst rausgeworfen.«
Die Unterschriften von Josef Maiwald und Anton Maiwald auf der einen und die von Oskar und Carla Lindt auf der anderen Seite – alles in bester Ordnung.
»Das hier ist sicherlich interessanter«, sagte Paul Wellmann. Er hatte sich tief in den Bereich Finanzen eingearbeitet. »Grundbuchauszüge, Bankbelege, Steuerunterlagen. Unvorstellbar, was die beiden alten Brüder alles zusammengerafft hatten.«
»Wissen Sie schon, wer das alles erben soll?«, interessierte sich der Staatsanwalt.
»Bisher haben wir noch kein Testament gefunden, aber vielleicht liegt eines in amtlicher Verwahrung«, antwortete Paul Wellmann.
»Die Frau aus dem zweiten Stock hat was von einer Nichte gesagt, angeblich Lehrerin in Heidelberg.«
»Name?«, wollte Lindt wissen.
»Fehlanzeige, Oskar.«
»Wertsachen?«
»Du
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