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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Worte einen wahrhaft bleibenden Eindruck bei mir.
    Da sprach eine ganz andere Mama mit einer tiefen, knurrenden Stimme mordlüsterner Wut. Ich hörte sie im Lauf der Jahre so viele Male, dass ich eines Tages, als ich meiner Wut auf Pappy G. in aller Abgeschiedenheit freien Lauf ließ, ganz ohne mich bewusst entschieden zu haben, sie zu üben und zu imitieren, selbst mit dieser Stimme sprach. Es war nicht so, dass ich sie einfach nur nachahmte. Ich hatte von Mama eine Missbildung in der Kehle geerbt, die es mir ermöglichte, diesen Tonfall selbst zu erzeugen. Dies gelang mir bald ganz leicht.
    Mehrere Wochen nach der Entdeckung der Gabe, die meine Blutlinie mir beschert hatte, beging ich den Fehler und nahm eine Abkürzung nach Hause, die mich zwangsläufig durch ein Viertel führte, das zum Spielplatz einer mörderischen Bande von Jungdämonen geworden war, die gern jeden abschlachteten, der sich weigerte, ihnen den Wegezoll zu bezahlen, den sie verlangten. Rückblickend habe ich mich oft gefragt, ob ich tatsächlich so zufällig in ihr Revier eingedrungen bin, wie ich mir damals einredete, oder ob ich mir selbst etwas beweisen wollte. Da war ich jedenfalls – Jakabok, der ewig drangsalierte Schwächling aus der Nachbarschaft – und suchte absichtlich die Konfrontation mit einer Bande von Schlägern, die keinerlei Skrupel haben würden, mich vor meinem eigenen Haus mitten auf der Straße abzuschlachten.
    Die Kurzfassung dessen, was geschah, ist schnell erzählt. Ich redete mit der Albtraumstimme meiner Mutter und schleuderte dem Feind einen Schwall der gemeinsten, tückischsten Flüche entgegen, die ich mir auszudenken vermochte.
    Bei drei der vier Angreifer zeigte das sofort Wirkung. Der vierte und größte war stocktaub. Er blickte seinen flüchtenden Kameraden einen Moment nach, dann sah er meinen aufgerissenen Mund und begriff wohl, dass ich Laute von mir gab, die die anderen abgeschreckt hatten. Er stürzte sich sofort auf mich, packte mich mit einer seiner riesigen Pranken im Nacken und steckte mir eine Hand in den Mund, um die lästige Zunge herauszureißen. Er bekam sie an der Wurzel zu fassen, grub die Nägel in den feuchten Muskel und hätte mich so stumm gemacht, wie er taub war, hätten meine beiden Schwänze nicht ganz ohne mein wissentliches Zutun zu meinen Gunsten eingegriffen. Sie stiegen hinter mir Seite an Seite empor, teilten sich, schnellten rechts und links an meinem Kopf vorbei und bohrten ihre Spitzen in die Augen meines Angreifers. Ihnen fehlte es an der Festigkeit von Knochen, um ihn tatsächlich zu blenden, doch auch in den Knorpeln besaßen sie genügend Kraft, ihm starke Schmerzen zuzufügen. Er ließ mich los; ich stolperte rückwärts und spuckte Blut, aber sonst war ich unverletzt.
    Jetzt haben Sie einen vollständigen Überblick über die Waffen, die ich mit in die Oberwelt nahm: ein kleines, fast stumpfes Messer, die Albtraumstimme meiner Mutter und die beiden Schwänze, die ich von meinem jüngst verblichenen Vater geerbt hatte.
    Es war nicht viel, musste aber genügen.
    So, jetzt wissen Sie es. Jetzt verstehen Sie, wie ich aus der Unterwelt entkam und wie meine Abenteuer dort ihren Anfang nahmen. Jetzt sind Sie doch ganz bestimmt zufrieden. Ich habe Ihnen Geschichten erzählt, die ich bisher noch keiner Menschenseele gebeichtet habe, selbst wenn ich kurz davor stand, sie auszuweiden. Etwa, was ich Pappy G. angetan habe. Das habe ich bis jetzt noch nie zugegeben. Nicht ein einziges Mal. Und Sie dürfen mir glauben, leicht ist mir dieses Geständnis nicht gefallen, nicht einmal nach den vielen Jahrhunderten. Vatermord – besonders wenn man seinen Vater direkt in die Mäuler hungriger Irrer gestoßen hat – ist ein Urverbrechen. Aber Sie wollten ja, dass ich mich für meine Befreiung offenbare, und das habe ich getan.
    Glauben Sie mir, mehr müssen Sie nicht hören. Man hat mich durch die Felsenöffnung nach oben gezerrt, das können Sie sich ja wohl vorstellen. Und ganz offenkundig haben die mir nicht den Garaus gemacht, sonst würde ich nicht zwischen diesen Buchseiten sitzen und zu Ihnen reden. Die Einzelheiten sind unerheblich. Das gehört alles längst der Vergangenheit an, es ist Geschichte, nicht wahr?
    Nein, nein, warten Sie. Das nehme ich zurück. Es ist nicht Geschichte. Wie könnte das sein? Niemand hat es je aufgeschrieben. Geschichte ist das, was in den Büchern steht, oder nicht? Und wenn es um das Leid von meinesgleichen geht, eines verbrannten Dämons, hässlich wie

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