Faktor, Jan
direkt an der Wand entlang. Unsere Vorräte an
Knallgranaten waren längst verbraucht, wir warteten eine ganze Weile, es
dämmerte. Ich war inzwischen auch pißbereit - und als die unregelmäßigen
Schritte senkrecht unter uns zu hören waren, ließen wirsynchron los. Da wir uns
verborgen halten mußten und nicht unmittelbar an der Kante stehen konnten,
sahen wir nicht, ob wir den Läufer tatsächlich getroffen hatten. Petr hatte aber
ein feines Gehör und meinte, das Plätschern hätte kurzzeitig etwas gedämpft
geklungen.
Dieser
kleine Schauerregen machte Skopkas Vater sicherlich nicht viel aus, er
schimpfte jedenfalls nicht hörbar. Skopka untersuchte abends den Hut und Mantel
seines Erzeugers, entdeckte dabei aber keine klaren Spuren mehr. Eine
Geruchsprobe brachte auch kein Ergebnis, weil alle Kleidungsstücke, die die
chemische Reinigung eines sozialistischen Reinigungsbetriebes hinter sich
hatten, sowieso streng rochen. Noch unmittelbar vor dem eigentlichen Pißangriff
hatte mich Skopka um ein absolutes Stillschweigen gebeten - und ich habe mich
daran bis heute gehalten.
Wenn ich
von Gerüchen spreche, muß ich die unterschiedlichen Geruchsnoten erwähnen, die
die Wohnungen meiner Mitschüler kennzeichneten. Eine bestimmte Art Muffigkeit
war von keiner dieser Behausungen wegzudenken, und sie blieb, worüber ich mich
schon damals wunderte, erstaunlich konstant. Da und dort vorhandene Großmütter
trugen zu dem Geruchsklima immer entschieden bei, und je älter sie waren, desto
stärker machten sie sich bemerkbar. Aber auch die Lichtverhältnisse waren an
den Verdampfungsvorgängen oder der molekularen Zusammensetzung der Luft
offenbar stark beteiligt. Je dunkler eine Wohnung war, desto stickiger roch sie.
In manchen Fluren merkte man, daß sie nie gelüftet wurden, in manchen Küchen
roch es nach den immer gleichen billigen Mehlsoßen, in manchen Schlafzimmern
nach durchgelegenen und verschwitzten Betten. Bei manchen Mitschülern stanken
Hunde, Katzen oder Meerschweine, bei einem, der immer etwas abgerissen aussah,
stapelte sich in einer Ecke dreckige Wäsche samt gelbbraun verfärbter
Unterhosen - seine Wohnung muffte besonders brisant. Prager Parterrewohnungen
besaßen in der Regel mindestens eine feuchte Wand. Aber selbst wenn alle Wände
trocken wirkten, sogen diese Räume die grünmoosige Luft der Innenhöfe
zwangsläufig immer ein - durch alle vorhandenen Fensterritzen. Aber natürlich
auch osmotisch mit allen noch durchlässigen Wandporen. Und noch etwas war am Klima
jedes Hauses stark beteiligt - und dies darf in Prag bis heute auf keine leicht
zu lüftende Kappe genommen werden: Es ist das unbewegliche Duftmilieu der
dunklen, sich im Hauskern befindenden Luftschächte - der so genannten
LICHTSCHÄCHTE; und in diese führen die schmalen Fenster aller Toiletten,
Badezimmer und muffiger Besenkammern.
Bei der in
Prag üblichen Bauweise gruppieren sich die Toiletten und Badezimmer um die
Lichtschächte herum und haben keine Fenster nach außen. So sind sie von
jeglicher übertriebener Frische oder von störenden Wettereinflüssen gut
abgeschirmt - daher wenigstens immer konstant temperiert; und sie ermöglichen
es unter Umständen, quer über den Schacht Intimverrichtungen der Nachbarn zu
beobachten oder ihren lauten Streitereien zuzuhören. Von diesen DUNKLEN
Lichtschächten fühlen sich automatisch nicht nur alte und junge Späher
angezogen, dummerweise ziehen diese tiefen Grotten auch jugendliche
Selbstmörder stark an. Allein an unserer Schule gab es in meiner Zeit zwei
solcher Sprünge in den Abgrund. Weil unten in der Kellerebene der Schächte
meistens aber hohe Schichten aus alten Scheuerlappen, blutigen Binden und
feuchten Badezimmerläufern lagerten - bedeckt mit flauschigen Matten aus
Staubmäusen -, endeten die beiden Selbstmordversuche nicht tödlich. Es ist zu
hoffen, daß mehrere dieser Verzweifelten, nachdem sie zwischen den dort sicher
auch noch reichlich verstreuten Kondomen und Damenschlüpfern zu sich gekommen
waren, zu neuem Leben erweckt wurden.Tante Györgyis nicht gelüftetes Zimmer
roch nicht gut, Tante Peprls Verließ dampfte kellerhaft, und der
gemeinschaftliche Flur unserer Etage war auch kein olfaktorisches
Vorzeigeobjekt. Onkel ONKELs Pfeifengeruch blieb bei uns trotz seines
Rauchabsaugers sowieso immer gegenwärtig, vermischte sich mit den Abgasdämpfen
unseres schon erwähnten Kühlschranks, zum Glück aber auch mit Mutters
Zigarettenduft der Marke »Lipa« - was
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