Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
Windhund, Petr Skopka schöpfte
genügend Antrieb aus gehirneigenen Quellen. Er reifte daher viel schneller als
ich, und sein Tun wurde substantieller - es gedieh auch weitgehend schleim- und
nackthaut-unabhängig. Trotz seiner Vernünftigkeit blieb Skopka seinem
tödlich-destruktiven Bastlertum allerdings treu. Und weil er für alle radikalen
Innovationen nach wie vor offen war, war er konsequenterweise dazu bestimmt,
irgendwann systemgefährdend zu werden. Auf diese Weise hielt ich mich dauerhaft
in der Nähe eines Individuums auf, das großen Ärger zu veranstalten drohte und
das früher oder später wirklich Ärger bekommen sollte.
    Skopkas
nächste Gefährdung unserer friedliebenden Republik wirkte anfangs vollkommen
harmlos. Er war Abonnent der Jugendzeitschrift »ABC der jungen Techniker und
Naturwissenschaftler«, und umtriebig wie er war, fand er immer noch Zeit, alle
möglichen, dort propagierten Aktivitäten mitzumachen. Die Zeitschrift stiftete
ihre jungen Leser an, das und jenes zusammenzufummeln, zu verbessern oder
selbst zu erfinden - und man versprach den Fleißigsten von ihnen, Artikel über
ihre Fleißarbeit abzudrucken. Alle zukünftigen Tüftler und
Nachwuchswissenschaftler waren wie elektrisiert. Ein Mitschüler aus unserer
Parallelklasse berichtete in einer Glosse empört, wieviel Wasser der
Volkswirtschaft verlorenginge, wenn alle Bürger ihre Wasserhähne leichtsinnig
tropfen ließen. Er hatte eine Stunde lang Wasser in einen Meßbecher tropfen
lassen, dann mit 24 multipliziert, dann mit sieben, schließlich - aus Vorsicht,
vielleicht war es eine kleine Zensurmaßnahme - mit dem Hundertstel der
Einwohnerzahl von Prag. Die Zahl, die er in seinem kurzen Artikel nannte, war
schockierend. Und alle kamen auf die naheliegende Idee, daß sicher ungeahnt
viele Nachbarn und Freunde ihre Wasserhähne ebenfalls tropfen ließen. Wir alle
waren aufgerüttelt und hielten unsere sozialistischen Augen weit offen. Skopka
winkte ab und korrigierte bald die publizierten Zahlen - allerdings nur
klassenintern und mündlich. Sein Artikel, in dem er riet, die oft nicht
erhältlichen Dichtungen aus den Wasserhahn-Spindeln herauszunehmen, sie
einzufetten und umzudrehen, wurde nicht abgedruckt.
    In einer
anderen Nummer der Zeitschrift wurde der Vorschlag einer neuartig verbesserten
Kneifzange ausgezeichnet. An einer der Backen war ein Huckel angeschweißt, so
daß man mit dem so erhöhten Hebel Nägel aller Hartnäckigkeitsgrade herausziehen
konnte. Das ließ Skopka wieder nicht ruhen. Er meinte, dieser viel zu schmale
Stützhuckel würde in dem beim Hebeln zu stark belasteten Holz häßliche
Druckspuren hinterlassen. Und er reichte umgehend eine verbesserte Version
dieser Erfindung ein, in der an ebendiesen Huckel ein abgerundetes breites
Plättchen angelötet (hart angelötet!) worden war. Sein Vater fertigte ihm auf
der Arbeit eine professionelle technische Zeichnung dazu. Skopkas Vorschlag
wurde daraufhin tatsächlich abgedruckt. Er wurde sogar persönlich in die
Redaktion eingeladen und bald zu einem externen Mitarbeiter ernannt. Das war
der Anfang seiner neuen steilen Karriere.
    Die
Zeitschrift »ABC der jungen Techniker und Naturwissenschaftler« (kurz
»ABietschko« genannt) rief kurz danach eine Bewegung ins Leben, die auf Skopka
wie zugeschnitten war. Es war die sogenannte Bewegung der
»Raumschiff-Besatzungen«. Diese neuartigen Zellen der technikbesessenen Jugend
bekamen sofort einen unglaublichen Zulauf. Offensichtlich regten die Väter
dieser Idee im Jungvolk das Bedürfnis an, anders als staatlich gelenkt
voranzukommen - oder es zumindest zu versuchen. Viele Jungs witterten natürlich
auch die Chance, auf diese Weise den lästigen Pioniernachmittagen zu
entfliehen. Sie blieben zwar offiziell weiter Pioniere, bastelten aber lieber
an ideologiefreien Modellen, trainierten für die Schwerelosigkeit oder prägten
sich Sternbilder ein, um sich bei intergalaktischen Flügen eigenständig
orientieren zu können. Die Palette der Themen war endlos, die alle zwei Wochen
erscheinende Zeitschrift lieferte unablässig Anleitungen, Anregungen.Tips und
weiterbildende Artikel. Viele der zukünftigen Kosmonauten hörten aber bald auf
zu basteln und schoben ihre Raumschiff-Aktivitäten nur vor, um der
organisierten pionierlichen Langeweile vollständig zu entkommen. Und die
ewigjungen, vielleicht auch etwas infantilen Initiatoren der Bewegung ahnten
wahrscheinlich nicht, was sie eigentlich angezettelt hatten. Unbewußt

Weitere Kostenlose Bücher