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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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und über sein Zuhause sprach er
sowieso ungern. Er war extrem neugierig, ausdauernd und organisatorisch begabt,
da er aber ein eher praktisch denkender Mensch war, plagte ihn in der Schule
ausgerechnet meine geliebte Mathematik. Er wollte und konnte beispielsweise -
noch als Weltraumaktivist! - nicht begreifen, warum eine Zahl größer wird, wenn
man sie mit einer anderen Zahl zwischen NULL und EINS dividiert. Von solchen
schwierig zu überwindenden Denkhürden hatte es in Skopkas Schulzeit sogar
mehrere gegeben - und er brachte immer wieder schlechte Zensuren nach Hause.
Daß er von seinem Vater regelmäßig geschlagen wurde, wußte ich lange nicht. Mir
war nur aufgefallen, daß er sich beim Umziehen vor dem Sportunterricht oft sehr
schamhaft verhielt.
    Einmal begleitete
ich ihn nach Hause, sein Vater war überraschenderweise schon da - und wollte
die letzte, sicher endlich benotete Mathearbeit sehen. Petr murmelte, die
hätten wir noch nicht zurückbekommen. Das war ein Fehler - dieses
Täuschungsmanöver aus niederen Motiven machte alles nur noch schlimmer. Skopkas
nicht geschlechtlich, sondern vor Mißtrauen erregter Vater durchwühlte
daraufhin den im Flur liegenden Schulranzen, fand die Arbeit mit einer VIER
MINUS - schlechter wäre nur noch die FÜNF - und befahl dem Sohn, die Hose
herunterzulassen. Ich begriff erst einmal nicht, was die beiden vorhatten - und
wäre in meiner solidarischen Ahnungslosigkeit sogar bereit gewesen, mich auch
auszuziehen. So etwas wie Züchtigung gab es in meiner Welt nicht, Schläge auf
schmerzende Körperteile vermutete ich im fernen neunzehnten Jahrhundert oder in
der dritten Welt. Ich wurde aufgefordert, gut zuzusehen. Zum Schlagen wurde ein
altes krummgewordenes Lineal aus dunklem Holz benutzt. Petrs Vater war
gnadenlos, Petr selbst aber tapfer, tränte geräuschlos. Der Tag der Rache kam
bald. Petr und ich standen einmal gegen Abend in der Nähe des barocken Tores,
dem Zentrum unserer Gegend, und diskutierten, ob die Sowjets eine Chance
hätten, als erste auf dem Mond zu landen. Der schwärmerische Petr war gerade
dabei gewesen, so etwas wie den zukünftigen unbemannten Russentrampler
»Lunochod« zu entwerfen, als wir im angrenzenden Park eine wankende Gestalt
erblickten.
    - Schnell
weg, das ist mein Vater, sagte Skopka und rannte durch die tunnelartige
Durchfahrt zur anderen Seite des Torhügels.
    Wir
kletterten an einer der schrägen Böschungen zwischen den Büschen nach oben,
begegneten dabei niemandem. Auch auf dem oberen grasbewachsenen Plateau war
kein Mensch. Die Situation war etwas ungewohnt. Hier trafen sich sonst die
unterschiedlichsten Cliquen und Banden, Skopka gehörte nicht unbedingt hierher.
Wir legten uns in die breite südliche Rinne oberhalb des Torbogensund
beobachteten den betrunkenen Schläger, der auf dem Vorplatz herumstolperte und
nah dran war, auf die Granitpflasterung zu stürzen. Vater Skopka lief an
unserer Beobachtungsstelle schließlich vorbei - etwa acht Meter unter uns -,
bog dann um die Ecke und setzte seine beschwerliche Wanderung an der Flanke des
Tores fort. Vielleicht wollte er eine oder sogar noch mehrere Runden drehen -
nach Hause hätte er sonst geradeaus gehen müssen. Eventuell wollte er auf diese
Weise Zeit gewinnen und etwas ausnüchtern. Von oben hatten wir die ganze Gegend
gut im Blick, ohne dabei gesehen zu werden - und wir konnten sogar bei
Positionswechseln in Deckung bleiben. Da der Säufer den angrenzenden
Bürgersteig nicht verlassen und die erste sanfte Kurve genommen hatte, konnte
man davon ausgehen, daß er demnächst tatsächlich zu der vermuteten längeren
Umrundung ansetzen würde. An der Nordseite des Tores befanden sich - und
befinden sich bis heute - links und rechts noch die ursprünglichen
Verteidigungsgräben. Der Normalbürger muß hier den Umweg in Kauf nehmen - es
sei denn, er will entlang eines der schmalen Trampelpfade in die Büsche pissen
gehen. Skopkas Vater lief inzwischen um den linken Graben herum, wir hatten
Zeit. Etwa nach der Hälfte seiner vermeintlichen Runde blieb er stehen und
betrachtete den Himmel, an dem nichts zu sehen war. Dann setzte er seine Wanderung
fort, und es war nun so gut wie sicher, daß er an der gegenüberliegenden
Toreinfahrt bald wieder vorbeigehen würde. Petr entsicherte seine Hose, sie
rutschte ihm dabei leicht nach unten. Auf dem Ansatz seines Hinterns sah ich
frische Striemen. Wir standen oberhalb der Einfahrt, nah der Torbogenkante. Nur
hier führt der Bürgersteig

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