Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
einen guten Anzug, mein Junge.«
»Ich bin pleite.«
»Ich weiß einen guten Anzug für Sie, kostet so gut wie nichts.
    Meinem Mann gehört die Schneiderei da drüben auf der anderen Straßenseite. Kommen Sie mit.«
    Ich bezahlte mein Zimmer und trug meinen Koffer hinauf. Dann ging ich mit ihr über die Straße.
»Herman, zeig doch diesem Jungen mal den Anzug.«
»Ah ja, ein hübscher Anzug.« Herman brachte ihn angeschleppt; dunkelblau, ein bißchen abgetragen.
»Der kommt mir zu klein vor.«
»Nein, nein, der paßt Ihnen genau.«
Er kam mit dem Anzug hinter dem Ladentisch hervor. »Hier. Probieren Sie mal das Jackett an.« Herman half mir hinein. »Sehen Sie? Es paßt … Möchten Sie die Hose anprobieren?« Er hielt mir die Hose an, von der Taille bis zu den Zehen.
»Die sieht aus, als ob sie paßt.«
»Zehn Dollar.«
»Ich bin pleite.«
»Sieben Dollar.«
Ich gab Herman die sieben Dollar und ging mit dem Anzug auf mein Zimmer. Ich ging nochmal weg und besorgte mir eine Flasche Wein. Als ich wieder zurück war, schloß ich die Tür ab, zog mich aus und schickte mich an, zum erstenmal seit einiger Zeit wieder eine ganze Nacht durchzuschlafen.
Ich stieg ins Bett, entkorkte die Flasche, stauchte mir das Kopfkissen im Rücken zu einem festen Knäuel zusammen, atmete tief durch und saß im Dunkeln und sah aus dem Fenster. Zum erstenmal seit fünf Tagen war ich wieder allein. Ich war ein Mensch, für den Einsamkeit lebensnotwendig war; ohne sie war ich wie einer, der nichts zu essen und zu trinken hatte. Jeder Tag ohne Alleinsein schwächte mich. Ich bildete mir auf mein Bedürfnis nach Einsamkeit nichts ein; ich brauchte sie zum Überleben. Die Dunkelheit im Zimmer war für mich wie wärmender Sonnenschein. Ich setzte die Flasche an und trank einen Schluck.
Plötzlich wurde es taghell im Zimmer. Ich hörte ein Rattern und Dröhnen. Draußen, auf gleicher Höhe mit meinem Fenster, war eine Haltestelle der Hochbahn. Ein Zug hatte gerade gehalten. Ich sah in eine Reihe von New Yorker Gesichtern, die zu mir hereinstarrten. Der Zug stand noch eine Weile, dann fuhr er weiter. Es war wieder dunkel. Dann wurde es wieder hell im Zimmer. Wieder der Blick in diese Gesichter. Es war wie eine immer wiederkehrende Vision der Hölle. Jede neue Wagenladung Gesichter war häßlicher, wahnsinniger und grausiger als die vorherige. Ich trank den Wein.
Es nahm kein Ende: Dunkelheit, dann Licht; Licht, dann Dunkelheit. Ich trank die Flasche leer, ging weg und holte mir noch eine. Ich kam zurück, zog mich aus und stieg wieder ins Bett. Wieder die Gesichter, die anrollten und verschwanden. Ich hatte das Gefühl, daß ich an Wahnvorstellungen litt: ich wurde heimgesucht von Teufelshorden, die nicht einmal der Teufel persönlich ertragen hätte. Ich setzte wieder die Weinflasche an.
Schließlich stand ich auf und holte meinen neuen Anzug aus dem Schrank. Ich schlüpfte in die Jacke. Sie saß sehr knapp. Sie schien geschrumpft zu sein, seit ich sie im Schneiderladen anprobiert hatte. Plötzlich hörte ich, wie etwas riß. Die Jacke war an der Rückennaht entzweigerissen. Ich streifte ab, was von der Jacke noch übrig war. Ich hatte ja immer noch die Hose. Ich zwängte meine Beine hinein. Vorne waren Knöpfe anstelle eines Reißverschlusses; als ich sie zuknöpfen wollte, platzte hinten die Naht. Ich faßte hinter mich und hatte meine Unterhose in der Hand.

18
    Die nächsten vier oder fünf Tage lief ich durch die Gegend. Dann betrank ich mich zwei Tage lang. Ich gab mein Zimmer auf und zog ins Greenwich Village um. Eines Tages las ich in Walter Winchell’s Kolumne, daß O. Henry seine ganzen Bücher an einem Tisch in irgendeiner berühmten Literatenkneipe geschrieben hatte. Ich fand die Kneipe, ging hinein und erwartete … tja, was erwartete ich eigentlich?
    Es war um die Mittagszeit. Und Winchell’s Kolumne hin oder her: ich war der einzige Gast. Da stand ich, allein mit einem großen Spiegel, der Bar und dem Barkeeper.
    »Tut mir leid, Sir, wir können Sie nicht bedienen.«

    Mir verschlug es derart die Sprache, daß ich nichts antworten konnte. Ich wartete auf eine Erklärung.

    »Sie sind betrunken.«
    Ich war vermutlich verkatert, aber getrunken hatte ich seit zwölf Stunden nichts mehr. Ich brummte irgendwas von wegen O. Henry und ging wieder.

19
    Es sah aus wie ein Laden, dem die Kundschaft fortgelaufen war. Am Fenster hing ein Schild: »Aushilfe gesucht«. Ich ging rein. Ein Mann mit einem dünnen Schnurrbart lächelte mir

Weitere Kostenlose Bücher