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Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Stücke zusammennähten: die Näherin an Maschine 1, fest entschlossen, sich ihre Position zu erhalten; die an Maschine 2 jederzeit bereit, die andere zu ersetzen, falls sie zusammenklappen sollte. Sie sahen nie von der Arbeit auf oder nahmen sonstwie von mir Notiz, wenn ich hereinkam.
    Hier in diesem Betrieb in Miami Beach brauchte nichts angeliefert zu werden. Es war schon alles da. An meinem ersten Tag lief ich durch das Gewirr der Produktionshallen und sah mir die Leute an. Im Gegensatz zu dem Laden in New York arbeiteten hier hauptsächlich Schwarze. Ich ging zu einem Schwarzen hin, dessen Gesicht im Unterschied zu den meisten anderen einen halbwegs freundlichen Eindruck machte. Er war ziemlich klein, fast zwergenhaft. Er machte eine tüftelige Handarbeit mit einer Nähnadel. Ich hatte einen Flachmann einstecken. »Das ist ne ziemlich beschissene Arbeit, was du da machen mußt. Lust auf ’n Schluck?«
    »Und ob«, sagte er. Er nahm einen tiefen Schluck und gab mir die Flasche zurück. Er bot mir eine Zigarette an. »Neu in der Stadt?« – »Yeah.« – »Wo kommst’n her?« – »Los Angeles.« – »Filmstar?« – »Ja, auf Urlaub.« – »Dann solltest du hier nicht mit dem niederen Volk reden.« – »Ich weiß.« Er schwieg. Er sah aus wie ein kleiner Affe, ein alter graziler Affe. Für die Typen unten im Erdgeschoß war er ein Affe. Ich nahm einen Schluck. Ich fühlte mich gut. Ich sah ihnen zu, wie sie alle schweigend und mit flinken Handbewegungen unter ihren 30-Watt-Birnen arbeiteten. »Ich heiße Henry«, sagte ich. »Brad«, sagte er. »Hör mal, Brad, ich kriege richtige Depressionen, wenn ich euch hier so arbeiten sehe. Ich glaube, ich sing mal einen kleinen Song für euch, was meinst du?« – »Bloß nicht.« – »Du hast hier einen Scheißjob. Warum machst du das?« – »Shit, es gibt ja nichts anderes.« – »Der liebe Gott hat immer gesagt, es gäbe was besseres.« – »Glaubst du an Gott?« – »Nee.« – »An was glaubst du denn?« – »An nix.« – »Dann sind wir ja quitt.«
    Ich sprach ein paar von den anderen an. Die Männer gaben keine Antwort, einige von den Frauen lachten.
    »Ich bin ein Spitzel«, sagte ich und lachte ebenfalls. »Ich spioniere für die Betriebsleitung. Ich beobachte euch alle.«
Ich nahm noch einen Schluck aus der Flasche. Dann sang ich ihnen mein Lieblingslied, ›My Heart is a Hobo‹. Sie arbeiteten weiter. Keiner hob den Kopf. Als ich fertig war, arbeiteten sie immer noch. Eine Weile war alles still. Dann hörte ich eine Stimme: »Hör mal, du Bleichgesicht, komm uns hier bloß nicht auf die komische Tour.«
Ich beschloß, meinen Wasserschlauch zu holen und den Gehsteig abzuspritzen.

57
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da arbeitete. Sechs Wochen, glaube ich. Irgendwann wurde mir dann doch eine besondere Aufgabe zugewiesen – ich mußte die Eingänge bearbeiten. Von Zweigläden, gewöhnlich außerhalb von Florida, kamen unverkaufte Hosen zurück; die mußte man nachzählen, um festzustellen, ob die Menge mit der Zahl übereinstimmte, die auf dem Begleitzettel angegeben war. Die Begleitzettel stimmten immer; wahrscheinlich deshalb, weil der Kerl am anderen Ende zu große Angst um seine Stellung hatte, als daß er sich Nachlässigkeiten erlaubt hätte. Gewöhnlich ist das einer, der gerade die siebte von sechsunddreißig Ratenzahlungen für seinen neuen Wagen geleistet hat; seine Frau geht jeden Montagabend zum Töpfern, die Hypothekenzinsen fressen ihn bei lebendigem Leibe auf, und jedes seiner fünf Kinder trinkt pro Tag einen Liter Milch.
    Ich gehöre eigentlich nicht zu denen, die gesteigerten Wert auf ihre Garderobe legen. Kleider langweilen mich. Sie sind genauso ein schauderhafter Schwindel wie Vitamine, Astrologie, Pizzas, Schlittschuhbahnen, Popmusik, Weltmeisterschaftskämpfe im Schwergewicht usw. Ich saß also da und tat so, als würde ich die Hosen nachzählen, als mir plötzlich etwas ganz Ausgefallenes zwischen die Finger kam. Das Gewebe war elektrisch aufgeladen, es klebte an meinen Fingern und ließ sich nicht abschütteln. Da hatte also endlich mal einer etwas Interessantes zuwege gebracht. Ich sah mir den Stoff näher an. Er sah genauso magisch aus, wie er sich anfühlte.
    Ich stand auf und ging mit der Hose aufs Scheißhaus. Ich schloß mich ein. Ich hatte noch nie etwas gestohlen.
Ich zog meine Hose aus und betätigte die Spülung. Dann stieg ich in die magische Hose. Ich krempelte die magischen Hosenbeine bis zu den Knien hoch,

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