Faktotum
und darüber zog ich dann meine alte Hose wieder an.
Ich betätigte noch einmal die Spülung.
Dann ging ich raus. In meiner Nervosität schien es mir, als würden mich alle anstarren. Ich ging nach vorne in den Laden. Es war ungefähr anderthalb Stunden vor Feierabend. Der Boß stand hinter einem Ladentisch in der Nähe der Tür. Er starrte mich an. »Ich hab was zu erledigen, Mr. Silverstein. Sie können mir ja den Lohn für heute entsprechend kürzen …«
58
In meinem Zimmer in der Pension zog ich meine alte Hose aus. Ich krempelte die magischen Hosenbeine herunter, zog mir ein frisches Hemd an und polierte meine Schuhe. Dann ging ich in meiner neuen Hose auf die Straße. Der Hosenstoff glänzte, die Farbe war ein sattes Braun, und die beiden Außennähte waren paspeliert, was dem ganzen einen besonders modischen Akzent verlieh.
Ich stand an der Ecke und zündete mir eine Zigarette an. Ein
Taxi hielt neben mir. Der Fahrer steckte den Kopf durchs Seitenfenster. »Taxi, Sir?« – »Nee danke«, sagte ich. Ich warf das Streichholz in den Rinnstein und ging über die Straße.
Ich lief fünfzehn oder zwanzig Minuten durch die Gegend. In dieser Zeit boten sich drei oder vier weitere Taxis an. Dann kaufte ich mir eine Flasche Portwein und ging zurück in meine Bude. Ich zog meine Sachen aus, hängte sie in den Schrank, legte mich ins Bett, trank den Wein und schrieb eine Short Story über einen armen Angestellten, der in einer Kleiderfabrik in Miami arbeitete. Eines Tages während der Mittagspause lernte der arme Angestellte am Strand ein reiches Mädchen aus der guten Gesellschaft kennen. Er verdiente es, daß er ihr Geld bekam, und sie tat alles, was in ihrer Macht stand, um zu zeigen, daß sie auch ihn verdiente …
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit erschien, stand Mr. Silverstein vor dem Ladentisch in der Nähe des Eingangs. Er hielt einen Scheck in der Hand. Er winkte mich zu sich. Ich ging hin und nahm den Scheck in Empfang. Dann drehte ich mich um und ging wieder raus auf die Straße.
59
Die Busfahrt zurück nach Los Angeles dauerte vier Tage und fünf Nächte. Wie gewohnt gab es für mich während der ganzen Fahrt weder Schlaf noch Stuhlgang. Ein bißchen Stimmung kam auf, als irgendwo in Louisiana eine große Blondine zustieg. In der Nacht fing sie an, ihre Möse für 2 Dollar pro Nummer anzubieten, und jeder Mann und jede Frau im Bus machte von ihrem großzügigen Angebot Gebrauch – außer mir und dem Fahrer. Von da an wickelte sie ihre Geschäfte dann jede Nacht auf der hintersten Sitzbank ab. Sie hieß Vera. Sie benutzte einen dunkelroten Lippenstift und lachte viel. Als wir einmal eine Kaffee- und Sandwich-Pause einlegten, machte sie sich an mich ran. Sie stellte sich hinter mich und fragte: »Was ist, bin ich dir nicht gut genug?« Ich gab keine Antwort. »Ein Homo«, sagte sie angewidert und setzte sich zu einem der »regulären« Jungs …
In Los Angeles machte ich mich sofort auf die Suche nach Jan. Ich klapperte die Kneipen in unserer alten Nachbarschaft ab, aber Erfolg hatte ich erst, als ich an Whitey Jackson geriet, der im »Pink Mule« gerade die Bar machte. Er erzählte mir, daß Jan inzwischen als Zimmermädchen im Durham Hotel arbeitete, Ecke Beverly und Vermont. Da ging ich dann hin. Ich suchte gerade nach dem Büro des Geschäftsführers, als sie aus einem Zimmer kam. Sie sah gut aus. Anscheinend hatte es ihr gutgetan, daß sie mich für eine Weile losgeworden war. Dann sah sie mich. Sie stand einfach da, und ihre Augen wurden sehr blau und groß. Dann sagte sie es. »Hank!« Sie rannte auf mich zu, und dann lagen wir uns in den Armen. Sie küßte mich wie wild. Ich versuchte den Kuß zu erwidern. »Meine Güte«, sagte sie, »ich hab gedacht, ich seh dich nie wieder!« – »Ich bin wieder da.« – »Bleibst du jetzt auch für immer da?« – »L.A. ist meine Stadt.« – »Geh mal ’n Schritt zurück«, sagte sie, »laß dich mal anschauen.« Ich machte einen Schritt zurück und grinste. »Du bist mager. Du hast abgenommen«, sagte Jan. »Du siehst gut aus«, sagte ich, »bist du solo?« – »Ja.« – »Kein Freund?« – »Kein Freund. Du weißt doch, daß ichs mit keinem aushalte.« – »Freut mich, daß du einen Job gefunden hast.« – »Komm, wir gehn auf mein Zimmer«, sagte sie.
Ich ging hinter ihr her. Das Zimmer war sehr klein, aber es hatte Atmosphäre. Man konnte aus dem Fenster schauen und sich den Straßenverkehr ansehen, die Verkehrsampeln, den
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