Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
Verzweiflung. Immerzu musste sie an ihre Nichte denken, die sie schon seit Tagen nicht mehr erreichen konnte und die somit in großer Gefahr schwebte. Der Gedanke, sie niemals wiederzusehen, brach ihr fast das Herz. Und sie hielt es kaum aus, nicht zu wissen, wie es ihr ging, wie sie diese verrückte Geschichte verkraftete und ob sie überhaupt noch lebte.
Nein – sie lebte noch! Ganz bestimmt. Sie durfte nie die Hoffnung verlieren. Das war der schlimmste Fehler, den man in einer Lage wie dieser begehen konnte. Ihr, Melina, durfte das auf gar keinen Fall passieren, denn dann verlor sie auch die Kraft zu kämpfen und das konnte für Jenna den Tod bedeuten.
Endlich hatte sie gefunden, was sie gesucht hatte: Ein kleines schäbiges Motel, das nicht allzu weit von ihrer Wohnung entfernt lag. Hier musste er sein. Er liebte diese Orte. Orte, an denen es kaum etwas Freundliches gab, nur Düsternis, Kälte und Menschen, die weniger Gefühl hatten als ein Eisblock.
Melina öffnete die mit Graffiti besprühte Tür und ging hinein. Alles war so, wie sie es erwartet hatte. Rötliches Dämmerlicht, Fliegen, die um die kitschige Lampe an der Decke flogen, ein befleckter, löcheriger Teppich, der wohl einmal rot gewesen war und nun in einem Graubraun vor sich hin stank, und ein verschwitzter, schlafender Portier am Empfangstresen.
Demeon mit seiner Eleganz und Sauberkeit passte überhaupt nicht hierher, aber genau das war der Grund, warum er sich gern an solchen Orten aufhielt. Er nannte das ‚Milieustudie‘. Die Menschen hier amüsierten ihn. Er war ihnen haushoch überlegen und dieses Gefühl liebte er.
Melina versuchte erst gar nicht den Portier zu wecken, sondern ging gleich die Treppe hinauf in die obere Etage. Sie wusste auch ohne seine Hilfe, wo sie Demeon finden würde. Sie lief den Flur entlang und folgte ihrem Gespür. Vor einer der Türen blieb sie stehen. Ja, hier musste er sein. Sie konnte seine Gegenwart selbst durch das dicke Holz fühlen. Ganz leise öffnete sie die Tür, trat ein und schloss sie wieder genauso geräuschlos hinter sich. Sie sah sich um.
Es war eindeutig zu erkennen, dass Demeon hier Hand angelegt hatte, um das Zimmer etwas wohnlicher zu gestalten. Alles war sauber und gepflegt, die Möbel sahen aus wie neu und die Gardine vor dem glasklaren Fenster leuchtete in einem strahlenden Weiß. Zauberei, eindeutig. Diese Arbeit hatte ihn bestimmt viel Energie gekostet. Aber für sich selbst war ihm kein Aufwand zu anstrengend.
Der Zauberer selbst saß in einem weichen Ledersessel in der gemütlich aussehenden Sitzecke des Hotelzimmers, die Füße auf einen Hocker gelegt, auf dem Schoß eine pechschwarze zusammengerollte Katze. Er schien zu schlafen. Doch Melina glaubte nicht an diese selige Friedlichkeit. Demeon hatte sie mit Sicherheit längst bemerkt und wollte erst sehen, was sie tat, bevor sie das Gespräch mit ihm suchte.
Sie hatte Recht. „Es ehrt mich sehr, dass du dich doch endlich dazu entschlossen hast, mich mal in meiner bescheidenen Bleibe zu besuchen“, begrüßte er sie, nach einer kleinen Weile des stillen Wartens, ohne seine Augen zu öffnen oder sich sonst zu regen.
„Du musst entschuldigen, dass ich nicht aufstehe, um dich willkommen zu heißen“, fuhr er fort, „aber Satan ist soeben erst eingeschlafen und du weißt ja, wie unausstehlich er wird, wenn man ihn um seinen Schönheitsschlaf bringt.“
„Er ist immer unausstehlich“, erwiderte Melina kühl und ging zu dem breiten Sofa ihm gegenüber, um sich darauf niederzulassen.
Demeon lächelte. „Du kannst dich also noch an ihn erinnern.“
„Schmerzhaft, ja“, sagte sie und schenkte dem Tier einen missbilligenden Blick. „Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir über seine Erziehung zu sprechen.“
„Schade.“ Das Lächeln wurde zu einem Grinsen und er öffnete nun endlich die dunklen Augen. „Vielleicht hättest du mir ein paar Tipps geben können – wo deine Pandora doch so wohlgeraten ist.“
Melina lächelte nun selbst, hatte sie doch mit genau dieser Antwort gerechnet. Doch sie war gewiss nicht bereit, auf seinen kleinen Ablenkungsversuch einzugehen. „Ich bin auch nicht gekommen, um mich mit dir zu streiten – worüber auch immer“, fuhr sie ungerührt fort.
„Ach?“ Demeon tat überrascht. „Worum geht es dann?“
Melina atmete tief durch die Nase ein und biss die Zähne zusammen. Sie musste sich anstrengen, die Worte, die sie sich zuvor so sorgsam zurechtgelegt hatte, auch wirklich
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