Falco Die Biografie
Matura gelernt.«
Die Matura, das österreichische Abitur, interessierte Hans kein bisschen. »Was ist die Alternative?«, fragte er.
»Die Alternative ist, von der Schule abzugehen und einen vernünftigen Beruf zu erlernen.«
»Ich möchte mit der Schule aufhören«, erwidert FALCO da-raufhin erleichtert. Er ist sogar bereit, sich den weiteren Plänen seiner Mutter unterzuordnen, wenn sie ihm nur gestattet, mit dem schrecklichen In-die-Schule-Gehen Schluss zu machen. Es war ihm leid um die Zeit, die er dafür opfern musste, er verstand mit den Jahren immer weniger, weshalb er Gedichte und Formeln auswendig zu lernen gezwungen war, die er ohnedies wieder vergaß. Der Satz: »Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir« bedeutete ihm gar nichts. Das, was er meinte, fürs Leben zu brauchen, holte er sich anderswo.
6
Wien war lange Jahre eine verknöcherte, überalterte Stadt im Herzen Europas, mit 1,7 Millionen Einwohnern Relikt eines Riesenreiches, der österreichisch-ungarischen Monarchie, in einem – nunmehr kaum 8 Millionen Menschen zählenden – Kleinstaat. Lange Jahre galten in der Stadt nur die Sängerknaben, die Spanische Hofreitschule und alles, was alt und überliefert war. Die Touristen kamen und gingen ins »Sacher« oder zum »Demel«, und viele junge Leute, insbesondere Künstler, wichen nach Graz, Salzburg, München, Berlin, Paris, London und New York aus, um Karriere zu machen.
Erst Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre, entwickelte sich in der Stadt so etwas wie eine funktionierende Subkultur, ein – manchem anarchisch anmutender – Widerstand gegen die überholte Heurigenseligkeit und das Opernball-Getue.
In der Musik besann man sich auf die eigene Sprache, den Dialekt. Hatten Wiener Künstler anfangs englische Gruppen nachgeahmt, so zeigte sich nach dem Riesenerfolg von Marianne Mendt mit ihrem Song »Wia a Glock’n«, dass es auch möglich war, anspruchsvollere Schlager höchst erfolgreich mit einem deutschsprachigen Text, ja, mehr noch, mit dem Wiener Dialekt zu kombinieren.
André Heller und Erika Pluhar beginnen aus Dialekt-Texten Lieder zu machen, Heller erregt gemeinsam mit Helmut Qualtinger mit dem Lied »Wean, du bist a oide Frau« Aufsehen. Künstler wie Georg Danzer und Arik Brauer, ein renommierter Maler der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, veröffentlichten vielversprechende Alben.
Ohnedies hatten die Maler wie Christian Ludwig Attersee, Wolfgang Hutter, Ernst Fuchs und vor allem Arnulf Rainer zu dieser Zeit, Anfang der 70er-Jahre, ihren besonderen künstlerischen Stellenwert in Wien. Ihr Ruhm ging weit über Österreichs Grenzen hinaus.
Die »Liedermacher« fingen an, richtige Geschichten mit ihren Songs zu erzählen. Beschränkte man sich anfangs noch auf mehr oder minder gelungene Nachahmungen englischer Songtexte, kamen plötzlich urwienerische Laute zu einer griffigen Musik. Ein Vorreiter war Wolfgang Ambros, der mit dem Prokopetz-Text »Da Hofa« lange Zeit die Hitparaden anführte.
Die Lieder dieser ersten und zweiten Generation des »Austropop«, wie diese neue Kunstrichtung genannt wurde, kamen im benachbarten Deutschland hervorragend an. Jahre, ehe Udo Lindenberg oder Xavier Naidoo die deutsche Sprache und einen Dialekt als Vehikel erfolgreicher Musik entdeckten, lagen die Wiener Pop-Stars bereits an den Spitzen der Charts.
Wien wandelte sich langsam, aber stetig. Am Rande der Szene entstanden Lokale wie das Voom Voom im achten Bezirk oder das Vanilla im ersten oder das Exil im neunten Bezirk, Undergroundschuppen, in denen scharfe, gute Musik gespielt wurde, wo man redete und wo viele allerdings auch – Schattenseite der Erneuerung – ihre ersten Rauschgifterfahrungen machten.
FALCO, der lange versucht hatte, seine Sucht auf Alkohol und Nikotin zu beschränken, sagte über diese Szene einmal in einem Interview mit der Los Angeles Times : »Da war eine wirklich harte Drogenszene in Wien, und ich schätze, das hatte ein bisschen damit zu tun, dass man seine Depressionen betäuben wollte. Es ist ja auch deprimierend, wenn man dauernd diese wunderschönen Bauwerke sieht und daran erinnert wird, was Wien einmal war. Und dass es nie mehr so sein wird.«
Lange Jahre stand Wien in der europäischen Selbstmordstatistik an zweiter Stelle, gleich hinter Budapest.
Jedenfalls: Musik, Malerei und sogar das moderne Schauspiel nahmen einen immer größeren Stellenwert im Selbstverständnis der Stadt ein. FALCO hatte das Glück, seine Karriere zu einer
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