Falkengrund Nr. 29
sich, was im Rückspiegel nur noch schwach zu erkennen war. „Zunächst wollte keine dieser Kreaturen länger als einige Minuten überleben. Es waren Jahre voller Entbehrungen und Rückschläge. Bis ich von Takase erfuhr. Es hieß, er verkaufe Bilder aus einem einzigartigen, magischen Film an Wissenschaftler. Ich traf ihn und erwarb fünf davon. Zu einem stolzen Preis. Von da an war alles anders.“
„Diese Bilder haben … diesem Mann Leben eingehaucht?“ Das Ungeheuer verschwand nun fast vollkommen in der Dunkelheit, und es nicht sehen zu können, war Trost und Drohung zugleich.
„Ich kann Ihnen mehr darüber erzählen, Hakase. Dafür müssen Sie mir helfen, weitere Bilder zu finden. Am besten den ganzen Film.“
„Ich werde tun, was in meiner Macht steht“, behauptete er, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, wie er jetzt noch an den Film kommen sollte. Er befand sich im Besitz der geheimnisvollen Schattenwesen.
„Gehen wir ins Haus“, befahl Dr. Nomura. Ihre Stimme war in den letzten Minuten etwas milder geworden. Dem fremden Mann ihre persönliche Geschichte erzählt zu haben, schien sie erleichtert und sanft gestimmt zu haben. Doch das grauenvolle Monster, das keinen Schritt von seiner Seite wich, ließ nicht zu, dass er sich entspannte. Nach wie vor lag eine Todesdrohung in der Luft. Dass die Ärztin ihm alles erzählt hatte, inklusive ihrer verbrecherischen Aktivitäten im FCC, konnte eigentlich nur bedeuten, dass sie nicht vorhatte, ihn lebend gehen zu lassen.
Würde er durch die riesigen Pranken dieses Geschöpfes sterben? Würde es ihn erwürgen, wie Frankensteins Monster im Film das kleine Mädchen erwürgt hatte?
„Werde ich Ihren Gatten kennen lernen?“, fragte er, um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen.
Dr. Nomura, die schon auf der Schwelle stand, wandte sich um und musterte ihn, als frage sie sich, wie er auf diese Frage kam. „Meinen Mann? Er lebt schon lange nicht mehr mit mir zusammen. Wir sind geschieden, gehen eigene Wege. Er ist längst wieder in sein Heimatland zurückgekehrt.“
„Er ist kein Japaner?“
„Nein“, antwortete sie. „Das ist er nicht. Ach ja, und jetzt fällt es mir wieder ein: Er ist vor einiger Zeit verstorben.“
4
„Was ist das?“
Das Ungeheuer versteifte sich und ließ ein Gurgeln aus seiner Kehle entweichen. Dr. Nomura hatte die Stirn gerunzelt und war aufgestanden, um dem Geräusch nachzugehen, das plötzlich an einem der Fenster entstanden war. Es klang beinahe, als habe eine Windbö die Scheibe getroffen – doch draußen war es vollkommen windstill. War ein Vogel dagegen geprallt?
Die Ärztin trat ans Fenster, berührte es jedoch nicht. Langsam, mit angespanntem Blick, wich sie zur Seite und wies ihr Geschöpf an, das Fenster für sie zu öffnen. Dazu kam das Monster nicht mehr. Kaum hatte es sich bis auf einen Schritt genähert, zerplatzte die Scheibe.
Mit einem gellenden Schrei flog eine Gestalt ins Zimmer, die Füße, die die Scheibe zerschmettert hatten, voraus. Diese Füße trafen nun die Brust des Monsters, schleuderten es zurück. Der Hüne konnte die Wucht abfangen und stürzte nicht. Wilde Emotionen rissen von allen Seiten an seiner Miene, und ein heiseres Knurren drang aus seinem Hals. Dr. Nomura hatte die Hände vors Gesicht gerissen, um den Regen der winzigen Glassplitter abzuwehren.
Der Eindringling war eine junge Frau, die schwarzen Haare kurz geschnitten, gekleidet in einen dunklen Trainingsanzug.
„Was … wollen Sie hier …“
Vielleicht hätte die Unbekannte die Frage der Ärztin beantwortet, doch ihr eigenes Geschöpf verhinderte es. Die Attacke hatte seine Wut geweckt, es schnaubte, und ein Teil seines Gesichts schien vor Freude zu lachen. Ein Kampf war genau nach seinem Geschmack. Es war voller Frustration und Unruhe, und tatenlos dazusitzen und den schwierigen Gesprächen zuzuhören, die seine Schöpferin mit diesem Fremden führte, machte es kribbelig.
Das Ungeheuer war nicht dumm. Anstatt mit bloßen Händen auf die Kontrahentin loszugehen, griff es neben sich, wo ein leichter Stuhl stand. Es schwang den Gegenstand mühelos herum, streifte damit die Wand und ließ ihn dann auf die junge Frau zufliegen.
Diese duckte sich blitzschnell. Der Stuhl knallte gegen den Rahmen des ramponierten Fensters hinter ihr und schlug weitere Scherben heraus. Schon kam das Monster heran. Seine Hände ragten weit aus dem zu kleinen Anzugoberteil heraus, und die Nähte unter den Achseln rissen auf. Seine Rechte stieß
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