Falkengrund Nr. 29
nach der Frau, erwischte sie schmerzhaft an der Schulter, doch als es nachfassen und sie packen wollte, war sie ausgewichen. Die Fremde sprang in die Höhe und ließ ihr linkes Bein vorspringen wie von einer Feder geschnellt. Der Gegner bekam die Hände nicht mehr rechtzeitig hoch, und der Fuß traf ihn mitten ins Gesicht.
Der Monster kippte in einer schaurig anzusehenden Bewegung nach hinten, schlug auf dem Fußboden auf. Für einen Moment sah es aus, als hätte die Frau ihm das Genick gebrochen. So leicht war Dr. Nomuras Geschöpf jedoch nicht zu töten. Das Wesen warf seinen Kopf dreimal hin und her, als könne es die Schmerzen so abschütteln. Langsam rappelte es sich auf, kam auf alle Viere. Die Frau ging um das Monster herum, taxierte es.
„Hören Sie auf!“, brüllte die Ärztin. „Sagen Sie uns, was Sie wollen. Wir haben Ihnen nichts getan!“
„Nicht mir, aber meinem Vater“, erwiderte die Fremde, ohne den Blick von dem Ungeheuer zu nehmen. Es war noch längst nicht erledigt, das lag auf der Hand. Es wartete nur auf den richtigen Moment, um erneut zuzuschlagen.
„Ihr Vater liegt im FCC?“, fragte Dr. Nomura. „Wie ist sein Name, und was sollen wir ihm getan haben?“
„Mein Vater ist hier“, schüttelte die junge Frau den Kopf. „Er heißt Andô. Sie halten ihn in diesem Haus fest!“
„Dr. Andôs Tochter!“, stieß die knochige Ärztin hervor. „Aber wie …“
Madoka war zu Hause von ihrem Vater angerufen worden. Als sie eiligst von der Bibliothek zurückkehrte, berichtete ihre Mutter, wie er von der Ärztin und ihrem Geschöpf aus der Wohnung entführt worden war. Sie war nahe daran, ohnmächtig zu werden, während sie das Ungeheuer beschrieb. Sie war so entsetzt, dass sie keine Sekunde lang daran gedacht hatte, die Polizei zu verständigen. Das wollte Madoka für sie nachholen, doch kurz bevor sie es tun konnte, rief ihr Vater an.
Es war ihm gelungen, unbemerkt ein Handy an sich zu nehmen. Als er Dr. Nomura angefleht hatte, noch die Toilette besuchen zu dürfen, hatte er tatsächlich nicht das Rasiermesser im Blick gehabt, sondern nur das Mobiltelefon, das auf dem kleinen Wäschetrockner neben dem Waschbecken in der Ladestation stand. Es war so winzig, dass es sich problemlos in seinem Slip verstecken ließ, für den Fall, dass man ihn durchsuchte.
Dr. Andô hatte an diesem Abend ein langes, wirres Gespräch mit der Ärztin geführt, ständig bewacht von dem Monster. Er hatte versucht, ihr etwas von dem Film und der Art seines Verschwindens zu erzählen. Sie hatte ihm nicht geglaubt, war immer wütender geworden. Bis sie das Ungeheuer anwies, ihn zu packen und in eine Abstellkammer zu sperren. Von dort aus hatte er seine Tochter angerufen und ihr den Weg beschrieben.
„Lassen Sie meinen Vater frei“, forderte Madoka. „Oder ich zertrete diesen Klumpen Abfall hier vor Ihren Augen.“ Sie warf dem Monster einen missbilligenden Blick zu. In Wirklichkeit war sie fasziniert von diesem Wesen, das ihre Mutter und ihr Vater kurz beschrieben hatten und das sie nun mit eigenen Augen sah. Hatte Dr. Nomura es wirklich aus toten Körpern zusammengesetzt und belebt? Ganz gleich, was es war, sie hatte nicht vor, es zu töten, außer es ließ ihr keine andere Wahl.
„Sie können Ihren Vater haben“, zischte die Ärztin. „Dieser alte Narr nützt mir nichts. Er redet nur dummes Zeug. Er ist kein Psychiater, sondern ein Fall für einen.“
„Es gibt noch eine weitere Bedingung, damit ich verschwinde. Ich will alles wissen – über das, was im FCC vor sich geht. Darüber, wie Sie diesem Stück Dreck Leben eingehaucht haben. Wo und wann Sie die Bilder von Takase erhielten. Es waren fünf Stück, nicht wahr? Ich möchte wissen, wie Sie sie eingesetzt haben, was Sie darüber herausfanden. Bestimmt kennen Sie die Namen anderer Käufer. Und dann …“
Das Monster griff an. Es streckte sich aus, hieb dabei nach ihren Beinen und riss sie ihr unter dem Körper weg. Madoka fiel auf den Hünen. Er rollte sich herum, um den Spieß umzudrehen. Für einen Moment schaffte sie sich Raum und erwischte seine Kehle, dann brach er ihren Griff wieder mit einem gewaltigen Schlag, der ihr beinahe die Unterarme zerschmetterte. Er kam auf ihr zu liegen, und seine Masse presste ihr die Luft aus den Lungen, so brutal und vollständig, dass ihre Gegenwehr fast augenblicklich erlahmte.
Da half ihr das Glück.
Dr. Nomura näherte sich ihr, berauscht von dem jähen Triumph ihres „Sohnes“. Madoka wusste, dass
Weitere Kostenlose Bücher