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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Roboter?
    „Also schön“, sagte die Ärztin. „Sie haben es nicht anders gewollt, Hakase! Sie kommen mit zu uns. In den Wagen! Es macht keinen Sinn, Ihre arme Frau weiterhin zu ängstigen.“
    „Aber … ich weiß nicht, wo der Film ist!“
    „Es wird Ihnen noch einfallen. Raus hier – und versuchen Sie keine Flucht. Es wäre garantiert das letzte, was Sie tun würden.“
    Der Schweiß strömte von einer Sekunde auf die andere aus seinen Poren, und seine Gliedmaßen fühlten sich pelzig an. Er war in Todesgefahr. Diese Frau konnte man nur als wahnsinnig einstufen. Und er konnte ihr nicht geben, was sie wollte. Seine Geschichte war zudem vollkommen unglaubhaft. Niemand würde sie ihm abnehmen, keine geistig Gesunde, und keine Geisteskranke. Wohin wollte sie ihn verschleppen? Was konnte er tun? Er wünschte sich, Madoka wäre hier gewesen, aber die Bibliothek schloss erst in zwei Stunden, und die Nomura machte nicht den Eindruck, sich auch nur eine einzige Minute länger hinhalten zu lassen.
    Er hatte eine Idee. „Gut“, keuchte er. „Ich komme mit. Aber gestatten Sie mir vorher noch eines.“
    „Das kommt nicht in Frage!“
    „Nur … einen Gang auf die Toilette, bitte! Bitte, der Schreck hat mich … Sie verstehen …“
    „Das ist ein Trick.“
    „Doktor, ich schwöre Ihnen …“
    „Schon gut. Ich werde mir den Anblick eines Mannes ersparen, der die Hosen voll hat. Wo ist die Toilette?“
    Andô ging langsam voraus, und die beiden folgten. Kaum hatte er die Tür geöffnet, drückte sich die Ärztin an ihm vorbei, ließ ihre Blicke durch das winzige Zimmer schweifen, stieß ein triumphierendes Lachen aus und griff zur Ablage über dem Waschbecken. Andôs Augen weiteten sich. Sie hielt sein Rasiermesser in der Rechten, grinste und machte damit eine blitzschnelle Bewegung direkt vor seiner Kehle! Obwohl er keinen Schmerz spürte, griff er sich voller Panik an den Hals, um sich zu vergewissern, dass es dort keine Wunde gab. Zum Glück hatte sie nur so getan als ob.
    „Sie miese Ratte!“, knurrte die Nomura. „Sie wollten mich leimen.“
    „Nein – ich … verspreche Ihnen, ich habe nicht an das Messer gedacht …“
    Das Ungeheuer versetzte dem winselnden Mann einen Stoß in den Rücken, der ihn in den Raum schleuderte. Dann wurde hinter ihm die Tür zugeworfen.
    „Sie haben genau dreißig Sekunden. Dann holen wir Sie raus. Neunundzwanzig – achtundzwanzig …“ Mit dem Griff des Rasiermessers klopfte sie jede Sekunde einmal gegen die Tür.
    Dr. Andô verfiel in hektische Aktivität.

3
    „Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist, sich Kinder zu wünschen und keine zu bekommen.“
    Sie fuhren in einer alten, geräumigen Limousine. Dr. Nomura steuerte, und Andô saß neben dem Monstrum hinten im Fond. Das Wesen roch unangenehm nach Desinfektionsmitteln und Salben. Nachdem sie zehn Minuten schweigend durch Tôkyô gefahren waren, hatte die Ärztin zu plappern begonnen. Ihre Fahrt führte sie zunächst nach Süden, dann nach Osten. Sie bewegten sich ungefähr in Richtung Funabashi, dieser modernen 500.000-Seelen-Stadt östlich vom Moloch Tôkyô. Dort befand sich auch das Institut für Kryonik, wo sie arbeitete. Fuhren Sie etwa zum FCC?
    „Mein Mann und ich konnten keine Kinder bekommen. Die Ärzte sagten, die Gründe lägen auf beiden Seiten.“ Die Frau stieß ein schnaubendes Geräusch aus. „Was kümmern uns die Gründe? Es war unser sehnlichster Wunsch, und … wir konnten ihn uns nicht erfüllen.“
    Andô, der sich darauf besann, dass es eigentlich sein Beruf war, mit geistig oder seelisch gestörten Menschen zu kommunizieren, versuchte sich zu beruhigen. „Das tut mir sehr leid“, sagte er langsam. „Sie haben gewiss über eine Adoption nachgedacht.“
    „Sie haben eine Tochter und einen Sohn, nicht wahr?“
    Andô bejahte.
    „Adoptiert?“
    „Nein, es sind meine eigenen.“
    „Es gehört nur das zu einem selbst, was man selbst gemacht hat“, erklärte Dr. Nomura. „Mit allem anderen betrügt man sich nur selbst.“
    „Ich verstehe.“
    „Wirklich? Sehen Sie sich meinen Sohn an. Sehen Sie ihn an, habe ich gesagt!“ Ihr wutverzerrtes Gesicht erschien im Rückspiegel, und Andô kam ihrem Befehl rasch nach, schon deshalb, damit sie wieder auf die Fahrbahn sah. Sie waren mitten im Feierabendverkehr unterwegs.
    Er betrachtete den Mann, der ihm nun demonstrativ das Gesicht zuwandte. Das Alter dieses Menschen war nicht zu schätzen. Größtenteils schien er älter zu sein als

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