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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Madoka reagierte unverzüglich, aber sie waren trotzdem zu spät dran. Dr. Nomura hatte eben ihren Daumen auf den Sensor neben der Tür gelegt und war im Begriff, die Zahl einzugeben, als der Mann sie erreicht hatte.
    „Stopp“, keuchte er. „Sie … schulden mir … Erklärungen …“ An seiner Brust klebte ein lächerlicher himmelblauer Presseausweis, nach dem er nun tastete.
    „Schulden Sie ihm etwas?“, fragte Madoka kühl, an die Ärztin gewandt.
    Diese schüttelte nur den Kopf, und Madoka lief in ihn hinein, um einen der ersten Judogriffe anzuwenden, den sie in ihrem Leben gelernt hatte. Er begriff überhaupt nichts und ließ sich wie ein nasser Sack über die Schulter werfen. Als er lag, lag er. Er stöhnte und sah nicht aus, als würde er so schnell wieder auf die Beine kommen. Vielleicht würde er seinen Notizblock herauskramen und gleich im Liegen einen Bericht schreiben, falls ihm jemand freundlicherweise über die Schulter leuchtete.
    Inzwischen war die Tür zur Seite geglitten. Ein riesiger Fahrstuhl wartete schon auf sie. Dr. Nomura drückte den untersten Knopf.
    „Zweites Untergeschoss?“, erkundigte sich Madoka, und die Ärztin nickte.
    „Was erwartet mich da?“
    „Mein Labor und drei Dutzend nicht ganz tote Leichen.“
    Mit einem kaum merklichen Rucken blieb der Aufzug stehen, und die Zeit, bis sich die Türen öffneten, kam Madoka endlos vor. Dann sah sie den Vorraum mit dem Schaltpult, die Labortür, die orangefarbene Tür und die mit Marmor verblendeten Schubladen in der Wand.
    „Wollen Sie ein paar der Leute sehen?“, fragte Dr. Nomura emotionslos.
    „Ich möchte Erklärungen, kein Sightseeing“, erwiderte Madoka.
    „Dann kommen Sie ins Labor.“
    Madoka registrierte, dass die Tür über kein Schlüsselloch verfügte, sondern sich nur über das Schaltpult öffnen ließ. Das Labor war ordentlicher, als sie es sich vorgestellt hatte. Ganz und gar nicht das Reich einer verrückten Wissenschaftlerin, bis unter die Decke vollgepackt mit unverständlichen Apparaturen, sondern ein kaltes, helles, sorgfältig aufgeräumtes Zimmer, das auf den ersten Blick auch eine moderne Systemküche hätte sein können: Lange, weiße Schrankflächen und Ablagen, Kühlschränke und Anschlüsse für Wasser und verschiedene Gase.
    Was den Raum auf den ersten Blick von einer Küche unterschied, war das mannshohe Bild, das an der einzigen freien Wand hing. Es war offenbar aus mehreren Computerausdrucken zusammengeklebt und zeigte den Körper eines Mannes, zweimal, von vorn und von hinten. Die Ansichten waren reich mit Anmerkungen versehen – Zahlenkolonnen und winzige Textblöcke bildeten einen komplexen Rahmen. Auffällig war ein gelber Punkt, der am unteren Ende des Hinterkopfes prangte, etwa auf Höhe des Kleinhirns. Das Papier war dünn, und es sah aus, als sei auf die Rückseite ebenfalls etwas ausgedruckt worden. Linien schimmerten hindurch.
    Madoka ging auf die Abbildung zu. „Was ist das?“, wollte sie wissen.
    „Erkennen Sie ihn nicht?“
    „Das Wesen, das Sie Ihren Sohn nennen. Er ist am Reißbrett entstanden, also muss es eine Konstruktionsskizze geben. Meine Frage bezog sich auf den gelben Punkt.“
    „Hier sitzt sein Herz – nicht sein anatomisches Herz natürlich, sondern das, was ihm Leben gibt.“
    „Ein Einzelbild aus dem Film. Sie haben es ins Kleinhirn gepflanzt?“
    „Ins Zwischenhirn. Das kontrolliert die wichtigsten Lebensfunktionen wie Atmung und Kreislauf.“
    „Was ist auf dem Bild zu sehen?“
    Dr. Nomura öffnete eine der Schubladen und holte eine Fotografie hervor. Madoka erkannte darauf den Korridor von Schloss Falkengrund wieder, den Flügel im ersten Stock, wo auch ihr Zimmer lag. Es gab einige merkwürdige Lichtreflexionen, die nicht dorthin zu passen schienen, und im rechten Viertel des Bildes war der Schatten eines Armes auszumachen. Er gehörte zweifellos zu einem der Menschen, die in diesem Film gefangen waren.
    „Es scheint ein Gebäude in Europa zu sein“, sagte die Ärztin unsicher.
    Madoka tippte auf eine der Türen auf der linken Seite des Flurs. „Es liegt im Süden Deutschlands. Das hier ist mein Zimmer“, meinte sie, als spreche sie etwas durch und durch Selbstverständliches aus.
    „Sie halten mich zum Narren!“ Die Ärztin brauste auf, und Madoka musste grinsen. Sie sah keine Notwendigkeit, die Frau von der Richtigkeit dessen zu überzeugen, was sie gesagt hatte. Je weniger Dr. Nomura wusste, desto besser.
    „Zeigen Sie mir Ihre

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