Falkengrund Nr. 29
später – Gernot Schranz war längst wieder in seinem Hotel – hatten sie das Ergebnis. Die Fingerabdrücke, die überall in der Wohnung sowie auf dem Schraubenzieher gefunden worden waren, gehörten tatsächlich zu Schranz. Das Blut dagegen passte nicht zu seinem. Es war nicht einmal dieselbe Blutgruppe. Außerdem hatte Schranz kein Aids.
Also war doch Schranz der Mörder und ein Unbekannter das Opfer? Wer hatte dann in der Dominikanischen Republik im Kittchen gesessen? Ein eineiiger Zwilling? Ein Doppelgänger, der gerade eben im Hotel wieder gegen das Original ausgetauscht worden war? Auch diese Theorie war Fachinger viel zu weit hergeholt. Im Übrigen erklärte sie nicht das Verschwinden der Leiche.
In der Verbrecherdatenbank INPOL war Schranz wegen leichter Körperverletzung erfasst. Es lag schon viele Jahre zurück. Allerdings waren seine Fingerabdrücke nicht aufgenommen worden, was Fachinger jetzt nachholen ließ.
„Sancho“, sprach er seinen Kollegen an. „Tu mir den Gefallen und nimm diesen Schraubenzieher noch mal in die Hand.“ Er übergab dem Spanier den Gegenstand. „Drück ihn ganz fest. Stell dir vor, du würdest ihm Leben einhauchen, ihm etwas aus deinem Inneren mitgeben.“
„Was meinst du, Chef?“
„Gib diesem Schraubenzieher alles, was du in dir hast, Sancho. Deine Leidenschaft, deine Kraft, einfach alles.“
Faro zuckte die Schultern, drückte das Werkzeug mit beiden Händen, schloss die Augen und schien sich zu konzentrieren. Nach einer Weile machte er einen Ausfallschritt, als wäre ein Schwindelgefühl über ihn gekommen. Hastig reichte er den Schraubenzieher an Fachinger weiter, der ihn nun seinerseits mit beiden Händen umklammerte.
Ein ungeheures Gefühl der Erleuchtung durchfloss ihn. Es war ein geistiges Kribbeln, so als wäre das eigene Gehirn ein lebendes Wesen, das sich im Kopf räkelte und streckte. Für einen Moment glaubte er, den Fall bereits gelöst zu haben. So weit war er noch nicht. Aber wenigstens wusste er nun, was er als nächstes tun würde. Morgen in aller Frühe würde er nach Mannheim aufbrechen. Dort würde er drei Stationen haben – eine davon bereitete ihm jetzt schon Magenschmerzen, aber davon würde er sich nicht abhalten lassen.
7
Auch in dieser Nacht erlebte er eine Fortsetzung seines Traumes.
Diesmal nahm er das Traumszenario bewusster wahr. Er sah sich in dem vermeintlichen Krankenhaus um und erkannte, dass es keines war. Es handelte sich um ein Pflegeheim. Wenn man die sterilen Korridore hinter sich ließ, kam man in helle Aufenthaltsbereiche mit reichlich Pflanzen und großen Fenstern. An den Tischen saßen alte Leute. Einige von ihnen lasen Zeitschriften, lösten Rätsel oder sahen auf den Fernsehschirm, auf dem ein Krimi lief. Die meisten jedoch schienen nur ins Leere zu starren, manche griffen in die Luft nach Dingen, die nicht existierten.
Unter den Menschen war auch der Mann, den er schon zweimal in seinem Zimmer besucht hatte. Er wirkte apathisch, lächelte schief ins Nichts hinein. Vor ihm stand eine leere Tasse, in der offenbar einmal Kaffee gewesen war – oder das Surrogat, das in solchen Heimen ausgeschenkt wurde.
Fachinger griff in die Tasche, fand den Gegenstand (einen Schraubenzieher), zog ihn hervor und legte ihn vor dem Mann auf den Tisch. „Das gehört nicht Gernot Schranz“, sagte er. „Ich glaube, das gehört Ihnen.“
Zunächst reagierte der Alte mit dem quadratischen Gesicht nicht. Ein Speichelfaden lief aus seinem linken Mundwinkel. Auf seinem Hemd hatte sich ein riesiger Fleck ausgebreitet, der davon zeugte, dass die Spucke schon seit geraumer Zeit floss. Erst, als Fachinger den Schraubenzieher vor seinem Gesicht hin und her bewegte, hob er langsam die Hand und griff danach.
In dem Augenblick, in dem beide Männer das Objekt berührten, zuckte Fachinger zusammen. Es war, als würde alles, was er wusste, alles, was er je gedacht hatte, in einem Sog verschwinden.
Der Schreck ließ ihn erwachen. Zum ersten Mal, seit er den Traum hatte, war er schweißgebadet. Allerdings beruhigte er sich schnell wieder, als er feststellte, dass es ihm und der Denkmaschine in seinem Kopf ausgezeichnet ging. Auf Anhieb konnte er sich Ereignisse ins Gedächtnis zurückrufen, die Jahrzehnte zurücklagen. Auch Erinnerungen, die er verloren geglaubt hatte, waren wieder präsent. Er hätte einzelne Passagen aus Büchern auswendig hersagen können, die er vor langer Zeit gelesen hatte, und wenn man ihn nach den Namen seiner
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