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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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zu befreien, als eine Büffelkuh, um zwei Kälber zu werfen?“ Er nuschelte diese Worte mit wohlwollendem Spott. Seine Stimme klang nach raschelnden Blättern. „Wenn er nicht herauskommt, ehe er erwachsen ist, wird man ihm eine Frau unter die Decke schicken müssen. Seine Kinder werden vermutlich auch dort zur Schule gehen.“
    Der Greis legte die Kräuter, die er eben zerrupft hatte, in einen verbeulten Eisentopf, in dem schon sehr viele davon in einer grauen Brühe weichten. Unter der Decke kroch der Junge hervor. Er legte das Gesicht auf den Boden, sorgfältig darauf bedacht, es nicht schmutzig zu machen, und seine neugierigen Augen verrenkten sich beinahe, um zu Eweji hinüberblicken zu können.
    „Wirst du nachts die Hexen an mein Bett schicken, weil ich deine Hütte betreten habe, ohne vorher zu rufen? Ich war so aufgeregt, dass ich es vergessen habe.“ Der Junge klang tatsächlich erschrocken. Aber seine Angst hielt sich in Grenzen. Offenbar war er überzeugt davon, ein ausgesprochen gewitztes Kerlchen zu sein und sich jederzeit mit einer List aus der Sache herauswinden zu können, falls der weise Schamane ihn wirklich bestrafen wollte.
    Eweji nickte ruhig. „Denkst du, meine Zeit ist billig? So billig, dass ich sie dafür verwende, nutzlose kleine Küken mit Flüchen zu behängen? Wenn ich wollte, würde ich den Zeigefinger heben, und wo du jetzt bist, würde sich eine Rauchsäule erheben, so dick wie ein alter Baobab. Der Rauch verzieht sich, und – husch – nicht einmal von deinen Sandalen bleibt etwas übrig.“
    „Die gehören meiner Schwester“, brachte der Knabe hervor, beinahe anklagend.
    „Ist das wahr? Dann werde ich den Zeigefinger beim Anheben ein winziges bisschen abknicken, damit den Sandalen nichts geschieht. Deine Schwester wird allerdings deine Asche abwischen müssen, die dort klebt, wo jetzt deine Schweißfüße stehen. Was suchst du hier? Ich habe nichts zu naschen für dich.“
    „Besuch, Anansi. Ein Fremder. Er kommt von Süden. Er trägt nicht unsere Kleidung.“
    „Sieh einer an! Und warum läufst du mit dieser Neuigkeit nicht zum Dorfvorsteher?“
    Der Junge richtete sich auf. In seinen Zügen erstrahlte die kurzfristige Überlegenheit eines Menschen, der eine wichtige Information überbringt. „Weil der Besuch zu dir möchte. Er sagt, er ist dein Enkel. Er sagt, er hat dich seit Jahren nicht gesehen. Ich kenne ihn nicht.“
    „Harabe!“, stieß der alte Mann hervor. „Endlich ist er zurückgekehrt.“ Der Hauch eines Lächelns keimte auf seinem grauschwarzen, zerfurchten Gesicht. Einen Augenblick später verzog es sich zu einem Ausdruck tiefer Bitterkeit. Er wusste genau, dass Harabe nicht zurückkehren konnte. Der junge Mann war vor sieben Jahren bei einer Streitigkeit mit den Militärs ums Leben gekommen. Einen Beweis dafür hatten sie zwar nie erhalten, aber ein Zeuge gab an, aus großer Entfernung gesehen zu haben, wie schmutzige Soldaten in blutigen grünen Uniformen Harabe mit ihren Gewehren erschossen. Als er tot war, packten ihn zwei seiner Mörder an Händen und Füßen und warfen ihn mit einem übermütigen „Hauruck“ in den Fluss, als würde man einen Sack Rüben auf eine Pritsche laden. Wo der Körper ins Wasser gefallen war, begann Sekunden später das Wasser zu kochen, und Krokodile beseitigten den Leichnam, wie sie es immer getan hatten und immer tun würden.
    „Nein, er sagt, sein Name ist Enene.“
    Enene.
    Eweji hatte puppenhafte Züge, die in der Mitte seines Gesichts zusammengedrängt waren. Rings um diese Züge herum gruppierten sich sternförmig tiefe Falten. Man sagte, er sah aus, als trüge er ein Spinnennetz im Gesicht, in dem sich seine Augen, seine Nase und sein Mund verfangen hatten und ausgesaugt worden waren. Das wirre weiße Bärtchen, in dem der Mund zu verschwinden schien wie in einem Kokon, verstärkte diesen Eindruck noch. Deshalb nannte man ihn auch Anansi. Anansi hieß der witzige Spinnenmann, der aus den Märchen Westafrikas nicht wegzudenken war. Vielleicht war das nicht der wünschenswerteste aller Spitznamen, denn Anansi konnte bisweilen auch selbstsüchtig und dumm sein, doch Eweji ließ zu, dass man ihn so nannte. Es war gut, mit einer Gestalt aus den alten Geschichten identifiziert zu werden. Das verlieh einem Menschen Tiefe.
    Jetzt konzentrierte sich Ewejis Gesicht auf noch engerem Raum, und sein Mund mit dem Bärtchen schien ganz unter die breite, klobige Nase zu rutschen.
    „Führ ihn her, diesen Enene!“
    „Ist er

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