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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Vögel verursachten raschelnde Geräusche. Etwas piepste hoch und klagend. War da irgendwo das Plätschern eines Baches? Vielleicht hinter dem Wald.
    Sie tauchte zwischen die Bäume ein, eine schlanke, großgewachsene Gestalt aus glänzendem Schwarz, wie die Figuren, die die Schnitzer aus Ebenholz fertigten. Ein dunkler Vogel floh flatternd und schnatternd aus dem Unterholz, nicht von ihr weg, sondern ihr entgegen. Sein Flügelschlag streifte ihren kahlen Schädel.
    Der Wald war ein aufrechtes dunkles Loch in der Landschaft. Tabu für das Mondlicht, eine alte, ausgefranste Hütte, in der die Finsternis wohnte.
    Die junge Frau kniete sich zwischen die Farne. Das Moos, aus dem sie wuchsen, war feucht, inmitten dieser Trockenheit. Amonke vergrub ihr Gesicht darin, und das Moos leckte das Blut von ihrer Haut. Sie atmete den würzigen, mütterlichen Duft, der aus der Tiefe der Erde zu ihr aufstieg. Es war ein guter Ort. Sie hätte die Nacht hier verbringen können, wäre das Gebäude, an dem sie all die Schrecken erlebt hatte, nicht so nahe gewesen. Sie wusste nicht, welches Grauen noch immer in seinen Winkeln steckte und auf Rache sann. Wenn der Mond sich weiter dem Horizont näherte, würde der Schatten des Bauwerks wachsen und sich über dieses Gehölz legen.
    Würde die Frau, die der Auslöser seiner Zerstörung war, zur Strecke bringen.
    Nachdem sie sich etwas erfrischt hatte, richtete sie sich auf und lief weiter. Das Ende des Wäldchens kam schneller, als sie es sich wünschte. Es war nur ein dünner Vorhang gewesen, wie um zu verhindern, dass ihre Blicke das ganze Land übersehen konnten.
    Sie trat aus dem Hain hervor, und karges Gras- und Buschland erstreckte sich vor ihr, eine Savanne, ein Teil derer, die sie schon kannte.
    Und doch neu. Anders.
    Dieses Stück Land hatte nicht nur Bewohner. Es hatte einen Herrn.
    Dieser machte keine Anstalten, sich vor ihr zu verbergen. Stolz wartete er mitten auf einer Lichtung, reglos und wunderschön. Er wusste, dass sie kam. Der Flug der Vögel, die Geräusche der Kleintiere und nicht zuletzt der Geruch eines blutenden, schwitzenden Opfers mussten sich vor ihm in die Nacht erhoben haben wie ein gigantisches mondbeschienenes Schriftzeichen, das nur er zu lesen vermochte und das „Mensch“ bedeutete.
    Es war ein Leopard, ein imponierendes Exemplar seiner Rasse, grazil und würdevoll, mit einem goldenen, sauber gezeichneten Fell. Sein Mund wirkte grimmig, seine Augen berechnend. Eine Deckung hatte er nicht nötig. Er schien zu genießen, dass seine Beute ihn sehen konnte.
    Amonkes Leib versteifte sich.
    Leoparden waren nachtaktive Tiere, gnadenlose Jäger. Ein Onkel von ihr war von einem getötet worden, als er nachts ins Nachbardorf lief, wo er eine Freundin hatte. In ihrer Kindheit war eine ausgehungerte Raubkatze drei Nächte hintereinander bis in ihr Dorf gekommen und hatte dort zwei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt, ehe es eine Gruppe von Männern glückte, ihn zu erlegen. Ihr Vater war unter diesen Männern gewesen, und er schärfte ihr ein, niemals die Flucht zu ergreifen, sollte sie jemals einer dieser ebenso schönen wie mörderischen Katzen gegenüberstehen.
    Die junge Frau zwang sich dazu, weiterzuatmen wie bisher. Nicht weglaufen – das war entsetzlich wenig, was ihr Vater ihr für diesen Moment mitgegeben hatte.
    „Geh weg“, flüsterte sie, bohrte ihre Blicke in die des Leoparden und hoffte, dass sie das richtige tat. „Du willst mich nicht, glaub mir. Deine Beute ist irgendwo da draußen, ich habe dich nur davon abgelenkt.“
    Die Katze rührte sich nicht. Ihr Atem ging vollkommen lautlos, und hätten ihre Lider nicht von Zeit zu Zeit gezuckt, hätte man das Tier für ausgestopft halten können.
    Amonke ging mit unendlich langsamen Schritten zur Seite. Sie bewegte sich in einer weiten Kurve ein wenig auf ihn zu und dann an ihm vorbei. Das war keine Flucht. Das war etwas, was Tiere manchmal taten. Sie hatte es bei Hunden beobachtet. Es bedeutete ein Friedensangebot, aber auf gleichem Niveau. Keine Unterwerfung.
    Aber Hunde und Katzen sprachen nicht dieselbe Sprache.
    Natürlich nicht.
    Der Gefleckte hob den Kopf ein wenig. Schien zu schnuppern. Ihr Blut. Der Duft musste überall sein. Ganz Westafrika musste nach ihrem Blut riechen. Der Leopard setzte eine Tatze vor die andere. Auch er kam nicht direkt auf sie zu, sondern beschrieb einen Bogen.
    Zehn Meter lagen zwischen ihnen, mehr nicht.
    Noch immer hatte sie keine Angst. Sie war nur unsicher.

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