Falkengrund Nr. 33
Sie wusste, dass sie nicht sterben würde. Doch was geschehen würde, würde vielleicht schlimmer sein als der Tod.
Der trockene Wind schaukelte die Bäume des Waldes hinter ihr. Die Katze stieß ein Grollen aus, das wie ferner Donner klang. Das Maul öffnete sich, lange, speichelbenetzte Fangzähne reflektierten im Mondlicht wie Messerklingen.
Ein Kampf war unvermeidlich. Einer von ihnen würde sein Blut der Savanne schenken.
Amonke blieb stehen. Schluckte wieder. Befahl dem ungebetenen Gast in ihrem Bauch, ruhig und still zu sein. Ruhig und still.
Der Körper der Katze spannte sich. Es sah aus, als würde sie springen. Noch war es nicht so weit. Sekunden verstrichen.
Die junge Yoruba spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog. So stark, dass sie sich krümmen musste. Der Leopard beobachtete sie. Vielleicht verstand er besser, was mit ihr vorging, als sie selbst. Sie drehte sich weg, aber noch während der Bewegung fing sie in den Augenwinkeln den Absprung der Raubkatze auf.
Das Tier flog heran, prallte machtvoll gegen ihre Schulter und riss sie aus dem Gleichgewicht. Wie in Zeitlupe sah sie den Erdboden auf sich zukommen, schlug auf dem kahlen Untergrund auf. Ein schweres Gewicht lastete auf ihr, lautes Brüllen stach in ihr Ohr, stinkender Atem wurde ihr ins Gesicht geblasen.
Es war nicht der Gestank, der sie dazu brachte, die Lippen wie von Sinnen aufeinander zu pressen und ihren Mund mit den Händen zuzuhalten.
Ihr Magen explodierte. Etwas, was wie der Fangarm eines Kraken war, durchdrang schmerzhaft den Magenpförtner von unten, schoss die Speiseröhre hinauf, drückte sich durch ihren Hals in ihren Mund. Und weiter.
Sie schnappte nach Luft. Mit dem Arm aus ihrem Inneren stieg Magensaft nach oben, brannte wie Feuer auf ihrer Lunge. Bittere Galle spritzte aus ihrem Mund, sie hustete, würgte. Dabei öffnete sie automatisch die Lippen, die sie hatte versiegelt halten wollen.
Gegen das Wesen aus ihrem Bauch hätte sie ohnehin keine Chance gehabt. Ein hässliches Ding voller Kerben, Warzen und Zotteln flutschte ins Freie, viel zu groß und zu lang, weich und aufgebläht.
Es blieb nicht bei einem. Ein halbes Dutzend dieser Gebilde folgten. Amonke rollte wimmernd und keuchend zur Seite. Ihr Kopf ruckte um neunzig Grad nach rechts, er gehörte ihr nicht mehr. Für eine einzige Sekunde stand das wunderschöne, drohende Gesicht des Leoparden vor ihren Augen, ein Kunstwerk aus feinen schwarzen Flecken und Linien. Dann schossen die Arme aus ihrem Mund auf dieses Meisterwerk des Schöpfergottes zu.
Der Kopf der Katze wurde auseinandergerissen. Knochen splitterten, Fell zerriss, und eine Eimerfüllung Blut ergoss sich mit einem Herzschlag in die Nacht und auf sie.
Sie konnte nur noch röcheln. Wie die Luft überhaupt in ihre Lungen geriet, war ihr ein Rätsel. Ihr Hals schien auf seinen doppelten Umfang angeschwollen zu sein, voll mit den tentakelgleichen Parasiten, die in ihrem Bauch wohnten. Die zuckenden Gliedmaßen der verendenden Großkatze trafen sie. Dann waren sie weg, und die Zungen aus ihrem Bauch leckten das Tierblut von ihrem Gesicht.
Der afrikanische Nachthimmel war noch da, die Sterne nichts als Löcher, die ein blinder Gott ohne System in ein schwarzes Brett geschlagen hatte, der Mond ein leuchtender Fetisch mit vergessener Bedeutung, der Wind staubig, voller Sand, blutige Fontänen überall anstelle des Regens, nach dem sich alle sehnten.
Bis sie das Bewusstsein verlor, dachte sie nur eines:
Vielleicht ist es nicht gut, in Afrika zu leben. Aber es ist tröstlich, hier zu sterben.
2
Der alte Eweji hob den Blick, nur ein wenig. Über seinen Brauen lag ein Streifen gleißenden Lichts. Es fiel durch eine winzige Fensteröffnung ein, hinter der der Glutball der Sonne hing.
Die zerschlissene Decke, die er als Vorhang in die Türöffnung gehängt hatte, warf lautlos Falten. Für einen Moment schob sich ein Arm und ein Kopf ins Innere der Rundhütte. Dann weiteten sich die Augen des Kindes, die Miene verzerrte sich, und es zuckte zurück. Dabei verhedderte es sich in den losen Fäden, die überall aus der Decke quollen und riss den Vorhang mit einem ratschenden Geräusch komplett zu Boden. Dumpf erklang ein Schrei unter der Decke hervor.
Mit seinem zahnlosen Mund brachte Eweji einen Pfiff zustande. Mehr amüsiert als interessiert beobachtete er das sich auf der staubigen Erde windende Bündel Stoff. „Wer hat je davon gehört, dass ein acht Jahre alter Junge länger braucht, um sich aus einer Decke
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